Lieder-Predigt: Lieder, die Kreise ziehen (Zum Jubiläum des Singvereins) 30. September 2018

In dieser Predigt werden vier Lieder (die während der Gottesdienstes gesungen werden) nacheinander betrachtet. Tipp: Jeder neue Abschnitt wird von der Orgel mit einer kurzen Paraphrase der Liedmelodie eingeleitet. Folgende Lieder werden aufgenommen:
EG 325 Sollt ich meinem Gott nicht singen (Paul Gerhardt, 1652)
EG 243 Lob Gott getrost mit Singen (Böhmische Brüder, 1545)
EG 398 In dir ist Freude ( Melodie: Giovanni Giacomo Gastoldi 1591)
BT 645 Ins Wasser fällt ein Stein (Manfred Siebald, 1973)

Sollt ich meinem Gott nicht singen?
Sollt ich ihm nicht dankbar sein?
Denn ich seh in allen Dingen,
wie so gut er’s mit mir mein‘.

Ein Loblied in besten Sinne haben wir eben vom Chor Ad libitum gehört. Aus jedem Vers krabbelt die Erkenntnis: „Gott meint es gut mit mir”. Ganze 10 Verse lang ist das Lied eigentlich. Alle Verse nacheinander zu singen, das wäre nicht nur ganz schön lang – sondern auch anstrengend … denn die Gedanken, die Paul Gerhardt in diesem Lied entwickelt, sind viel tiefer, als man es von einem Loblied erwarten würde. Den Paul Gerhard verknüpft in diesen Versen sein eigenes Leben, sein eigenes Dasein – das ja von vielen tragischen Ereignissen durchzogen war – mit der Sicht, dass Gott es gut mit ihm meint.
Er macht sich daran, in dem, was ihm an Schlimmen widerfährt, doch Aspekte des Guten zu entdecken. Manchmal in einer Sprache, die uns nach über 300 Jahren schon recht fremd wirkt – aber in Kern ist es lohnenswert, mit ihm hie und da nach dem Guten in all dem Schweren zu suchen.

So entdeckt er beispielsweise: Da, wo er an seine Grenzen kommt, wo er an seinem „ich schaff es nicht“ zu verzweifeln scheint …. darin steckt auch Freiheit. Zu erkennen: Ich muss nicht alles können – Und zu erleben, welcher Stein vom Herzen fällt, wenn man die Hände faltet und seinen Gott sagt: Ich komme da nicht weiter – hilf mir, oder es bleibt so, wie es ist.

Immer wieder lernt Paul Gerhardt: Das Schlimme im Leben war mir letztlich nicht nur eine Last, sondern hat meinem Leben auch Positives geschenkt. Und sein großes Charisma war es, genau auf diesen positiven Aspekt zu schauen, und daraus für sich selbst immer wieder Kraft und Lebensmut zu beziehen.

Im Bild gesprochen: Paul Gerhard betrachtet einen großen Haufen Mist und entdeckt, dass an dessen Rand dann doch eine schöne Blume aufgegangen ist. Paul entscheidet sich, sich über die Blume zu freuen und darüber ein fröhliches Lied zu schreiben.

Uns erscheint das manchmal seltsam. Denn wir wissen einiges über Paul Gerhards Leben, die schlimmen Schicksalsschläge in der Familie, die gescheiterte Karriere – und dann sehen wir, wie viel Dankbarkeit und Zuversicht in seinen Liedern steckt. Wie passt denn das zusammen?

Vielleicht lieht es daran, dass wir so gerne eben mit Entsetzen auf den Misthaufen schauen …. und die kleine bezaubernde Blume der Liebe Gottes am Rand des Misthaufens nicht sehen, oder nicht wert schätzen.

Lob Gott getrost mit Singen,
frohlock, du christlich Schar!
Dir soll es nicht misslingen,
Gott hilft dir immerdar.
Ob du gleich hier musst tragen
viel Widerwärtigkeit,
sollst du doch nicht verzagen;
er hilft aus allem Leid.

Manchmal, ja manchmal gelingt es nicht einmal, die Blume am Rande des Misthaufens zu entdecken – weil man nämlich bis zum Hals drin steckt. Dieses Lied aus der Tradition der Böhmischen Brüder um 1550 lässt jede Menge Konflikte und Gefahren erahnen, denen die Verfasser als religiöse Minderheit ausgesetzt waren.
Das waren nicht so sehr persönliche Probleme. Die ganze Welt war das Problem. Gefühlt stand die Welt auf dem Kopf. Alles war im Wandel, die eigene Zukunft wurde fraglich. Die Mächtigen agierten teilweise wie entfesselt – man konnte sich auf nichts verlassen.
Und auch die kirchliche Landschaft war im Umbruch. Die Böhmischen Brüder hatten in der Katholischen Kirche einen mächtigen Gegner, der sie verfolgen ließ, aber auf der anderen Seite konnten sie mit der aufstrebenden Reformation und Luther auch nichts anfangen. Es fühlte sich so an, als würden sie zwischen den Zahnrädern dieser beiden großen Player allmählich zerquetscht.

Wo sollen wir hin, was ist richtig, was ist falsch? Hat diese Welt für uns überhaupt eine Zukunft?
Diese Fragen hat man sich stellen müssen. Und die Antwort haben wir vorhin in allen 6 Strophen gesungen. Diese trotzige Lied „lob Gott getrost mit singen”. Ja, trotzig ist es! Und auch ein bisschen rotzig – weil es auf das ganze Krisengeschrei und „sich-selber-fertigmachen” pfeift!
Wir wissen nicht, wie es weitergehen kann, und ob es uns in 20 Jahren noch gibt – aber: Wir sind zuversichtlich, weil Gott uns seine Hilfe versprochen hat! Basta!
Jede Strophe hat ein neues Argument dafür, dass wir nicht verzweifeln sollen:
– Gott hat doch geschworen, dich nicht zu verlassen!
– So, wie eine Mutter ihr chaotisches Kind nie aufgibt – mindestens so sehr hält Gott an dir fest.
– Wenn jetzt manches bei der Kirche in die Brüche geht, ist es gut so, weil Gott vieles erneuern will.

Liebe Gemeinde,
ein Lied, das man immer wieder gut hören kann. Gerade, weil es Mut macht: Zu vertrauen, dass unser Schöpfer diese Welt weiterhin in der Hand hat. Dass seine Treue bleibt.
Wenn ich mich mal wieder frage, was wird hier auf unserem Planeten eigentlich zur Zeit gespielt, wer steuert die großen Zahnräder der Politik und Weltwirtschaft? Wo geht das alles hin? Und ist es nicht längst klar, dass keiner mehr nach uns fragt?

Dann tut mir so manche dieser Zeilen gut:
Darum laß dich nicht schrecken, o du christgläub’ge Schar! Gott wird dir Hilf erwecken und dein selbst nehmen wahr.

In dir ist Freude in allem Leide,
o du süßer Jesu Christ!

Das nennen wir einen Tapetenwechsel! Diese Melodie nimmt mich mit nach Italien. Ein bisschen dolce vita. Leichtigkeit des Lebens. Der Priester Giovanni Giacomo Gastoldi aus Mantua hat 1591 dieses Tanzlied komponiert. Leichtfüßig im Dreivierteltakt.
Und mit dem deutschen Text sieht man die Kinder Gottes förmlich ausgelassen umher tanzen. Manchmal muss man einfach raus aus dem Grübeln, aus den schweren Gedanken. „In dir ist Freude … in allem Leide”.

Und die Freude braucht ihren Platz. Es tut uns gut, die Sorgen, die Probleme, die Schatten des Vergangenheit auch einmal hinter uns zu lassen. Singen, tanzen, feiern lachen – gerade als Christen haben wir da die besten Voraussetzungen. Weil wir das Leid der Welt nicht selber tragen müssen, sondern es in Gottes Hände legen können. Wir dürfen froh sein, auch wenn es auf dieser Welt immer genug Leid und Elend gibt.

Schon Jesus musste mit dem Vorwurf leben, zu fröhlich zu feiern: „Der Menschensohn ist gekommen, isst und trinkt, und sie sagen: Siehe, dieser Mensch ist ein Fresser und Weinsäufer”.

Ich überlege ob für manche von uns ein Chorprobenabend auch so ein Moment ist: Raus aus dem Alltag, aus dem Gwärch oder der Einsamkeit daheim. Zusammensein, singen, quatschen, anschließend vielleicht noch für eine Stunde hoch in die Brennereistuben.
Wir jubilieren und triumphieren,
lieben und loben dein Macht dort droben
mit Herz und Munde. Halleluja
Ja, wenn wir singen, dann sind wir vielleicht tatsächlich ein bisschen den Engeln im Himmel nahe – spüren diese Leichtigkeit der Nähe Gottes.

Ins Wasser fällt ein Stein,
ganz heimlich, still und leise,
und ist er noch so klein,
er zieht doch weite Kreise.
Wo Gottes große Liebe
in einen Menschen fällt,
da wirkt sie fort,
in Tat und Wort,
hinaus in unsre Welt.

Hinaus in unsere Welt …. was in uns ist, das sucht sich meist auch einen Weg nach außen. Ob es unsere Fröhlichkeit, unser Frust, oder die Liebe Gottes ist. Wenn wir singen, bringen wir Fluss in diese Bewegung zwischen „innen” und „außen”.
Das eine Mal singen wir besonders inbrünstig, weil ein Lied genau das trifft, was wir im Herzen empfinden.
Ein anderes Mal sickert die Tonlage des Liedes langsam in mich hinein, verändert meine Stimmung in die eine oder andere Richtung.
Von daher ist es nie egal, was man singt, oder was man sich an Musik so anhört.
Eben weil Musik mehr ist, als das Zusammenspiel von Melodie und Text. Musik hat und ist eine Botschaft, und es ist wunderbar, wenn wir seit nunmehr 175 Jahren diesen Singverein haben, der mit Musik viel bewegt und transportiert. Mal Lieder, die vom Glauben singen, mal Volkslieder, die schmachtend selbst den letzten fränkischen Mumpfel berühren.

Man singt nie allein und bestimmt nicht vergeblich. Unsere Lieder, sollen Kreise ziehen – gerade wenn sie die Botschaft der Liebe Gottes weitertragen. Denn das hat unsere Welt nach wie vor täglich nötig.
Wo Gottes große Liebe in einem Menschen brennt, da wird die Welt vom Licht erhellt, da bleibt nichts, was uns trennt

Amen

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