Predigt: Wir sind nicht nur Zuschauer (Lukas 23, 33-49) Karfreitag, 30. März 2018

Lukas schreibt davon, das die Menschen, die bei der Kreuzigung Jesu zuschauten, davon berührt in ihre Häuser zurückkehrten. Die Predigt greift das Motiv eines Schauspiels auf, das einen in den Bann zieht und verändert.

Predigttext (Lukas 23,33-49)
33 Und als sie kamen an die Stätte, die da heißt Schädelstätte, kreuzigten sie ihn dort und die Übeltäter mit ihm, einen zur Rechten und einen zur Linken.
34 Jesus aber sprach: Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun! Und sie verteilten seine Kleider und warfen das Los darum.
35 Und das Volk stand da und sah zu. Aber die Oberen spotteten und sprachen: Er hat andern geholfen; er helfe sich selber, ist er der Christus, der Auserwählte Gottes.
36 Es verspotteten ihn auch die Soldaten, traten herzu und brachten ihm Essig
37 und sprachen: Bist du der Juden König, so hilf dir selber!
38 Es war aber über ihm auch eine Aufschrift: Dies ist der Juden König.
39 Aber einer der Übeltäter, die am Kreuz hingen, lästerte ihn und sprach: Bist du nicht der Christus? Hilf dir selbst und uns!
40 Da antwortete der andere, wies ihn zurecht und sprach: Fürchtest du nicht einmal Gott, der du doch in gleicher Verdammnis bist?
41 Wir sind es zwar mit Recht, denn wir empfangen, was unsre Taten verdienen; dieser aber hat nichts Unrechtes getan.
42 Und er sprach: Jesus, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst!
43 Und Jesus sprach zu ihm: Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein.
44 Und es war schon um die sechste Stunde, und es kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde,
45 und die Sonne verlor ihren Schein, und der Vorhang des Tempels riss mitten entzwei.
46 Und Jesus rief laut: Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände! Und als er das gesagt hatte, verschied er.
47 Als aber der Hauptmann sah, was da geschah, pries er Gott und sprach: Fürwahr, dieser Mensch ist ein Gerechter gewesen!
48 Und als alles Volk, das dabei war und zuschaute, sah, was da geschah, schlugen sie sich an ihre Brust und kehrten wieder um.
49 Es standen aber alle seine Bekannten von ferne, auch die Frauen, die ihm aus Galiläa nachgefolgt waren, und sahen das alles.

Lukas macht Golgatha zur Bühne

Liebe Gemeinde,
„es standen aber alle von ferne und sahen das alles” – So endet dieser Abschnitt aus dem Lukasevangelium.

Kaiphas, Maria, Judas, die Priester und Soldaten, das Volk von Jerusalem, Männer, Frauen und Kinder. Sie stehen herum und schauen sich das alles an.
Unter ihnen auch welche aus Brunn und Wilhelmsdorf, aus Emskirchen, Neustadt und Bad Windsheim – sie alles stehen/standen heute Nachmittag herum, wenn im Freilandmuseum in Bad Windsheim, die Passionsspielgemeinschaft Marktbergel die letzten Stunden Jesu darstellt.
Jesu Kreuzigung als ein Bühnenstück!
Das hat lange Tradition. Seit 1634 gibt es die Passionsspiele in Oberammergau, die alle zehn Jahre das Leiden Jesu aufwändig auf die Bühne bringen.

Aber: Kann man das eigentlich darstellen – was damals mit Jesus geschehen ist?
Ist das nicht zu schrecklich und zu einmalig – so dass es sich dem „Nachspielen” entzieht?
Darüber könnte man lange und kontrovers diskutieren. Aber dann schaue ich auf das, was der Evangelist Lukas hier geschrieben hat. Und ich merke: Er hat den Tod Jesu fast wie ein Bühnenstück geschrieben. Da geschieht etwas – und es gibt Zuschauer. Menschen die selbst keine aktive Rolle haben, sondern wirklich nur bei dem allen zusehen. Manche sind bewusst Jesus auf dem Weg nach Golgatha gefolgt, andere vielleicht nur zufällig dort an der Stelle vor den Toren der Stadt.
Zuschauer sind sie – aber keine Smartphone-Gaffer, die das auch noch fotografieren und per WhatsApp teilen. Sondern sie werden davon berührt: „Und als alles Volk, das dabei war und zuschaute, sah, was da geschah, schlugen sie sich an ihre Brust und kehrten wieder um.”

Darum geht es dem Evangelisten Lukas in seiner Beschreibung des Sterbens Jesu: Die Passion Jesu wahrnehmen – verstehen, was da gerade geschieht.
Sich an die Brust schlagen und umkehren. Erkennen, dass das etwas mit mir zu tun hat. Schließlich ist Jesus auch für mich gestorben. Und umkehren! Wohl im doppelten Sinn: Zurückkehren in mein Haus – aber auch umkehren von Wegen, die eigentlich die falschen sind. Denn wenn du das auf Golgatha erlebt hast, kannst du nicht einfach so weitermachen wie bisher.

Meine Rolle in diesem Stück

Liebe Gemeinde,
wenn wir den Karfreitag begehen, dann macht uns dieser Tag zu Zuschauern.
Und vielleicht fließt das auch nicht spurlos an uns vorüber. Wie in einem Bühnenstück, kann es passieren, dass man sich mit einzelnen Personen identifiziert. Ich werde ein Teil des Geschehens … aber wo stehe ich … wo finde ich mich wieder?
– Auf der Seite des Verbrechers, der erkannt hat, dass dieser Jesus in der Mitte
unschuldig ist, und der Jesus bittet, an ihn zu denken, wenn er in sein Reich kommt?
– Auf der Seite derer, die furchtbar enttäuscht sind – weil dieser wehrlose Jesus am Kreuz sich nicht als mächtiger Gottessohn zeigt. Dabei hätten wir uns das doch so sehr gewünscht: Dass durch ihn alle Fragen gelöst, alle Ängste beseitigt, alle Krankheiten geheilt und alles Böse vertrieben wird.
– Auf der Seite der neugierig Distanzierten? Die nicht so genau wissen, was sie von diesem Jesus halten sollen. Weil er doch so viel Gutes und Wichtiges gesagt hat. Und bestimmt wollen wir im Leben einiges davon beherzigen. Aber er als Gottes Sohn?

Vielleicht ärgern Sie sich sogar, weil eine Rolle in diesem Schauspiel nicht vergeben ist: Derjenige, der Jesus effektiv beistehen kann, ihn vielleicht sogar rettet, aber zumindest wirklich etwas für ihn tun kann. Aber diese Rolle gibt es hier nicht. Weil es eben so gekommen ist, wie es gekommen ist – und wohl auch kommen musste.
Uns wird es nicht anders ergehen als den Menschen damals, dass wir nämlich
nur schauen und verstehen sollen. – Eben Zuschauer.

Die Szene mit dem Hauptmann

Liebe Gemeinde,
in diesen Stunden auf dem Hügel Golgatha geschieht viel. Das Lukasevangelium reiht viele Szenen aneinander. Jede mit einer eigenen Botschaft.

Da ist der Hauptmann, der am Ende des Leidensweges Jesu sagt: Fürwahr, dieser Mensch ist ein Gerechter gewesen!“ Ein frommer, ein gerechter Mensch ist gestorben, ein Vorbild für alle. Eine bittere Erkenntnis – die zu spät kommt, wenn der Gerechte eben seinen letzten Atemzug getan hat. Richtig tragisch – kein echter Trost.
Was zählt, ist das Urteil Gottes, das er drei Tage später sagt: Das ist der Sohn Gottes – darum wird er den Tod besiegen und wieder auferstehen.

Und darin spiegeln sich unsere menschlichen Abschiede. Wo wir uns von Verstorbenen trennen müssen. Alle guten Worte, alles Erinnern, was der geliebte Mensch mir bedeutet hat, – das ist ein Trost, der gut tun kann. Aber doch ist erst einmal der Tod, der Abschied, etwas um das wir nicht herumkommen … besser gesagt, um das wir nicht herumkämen, wenn wir als Christen nicht wüssten, dass nach Karfreitag Ostern folgt – dass wir die Auferstehung der Toten und ein Leben in Gottes ewiger Welt erwarten.

„Vater vergib ihnen”

Eine andere kleine Szene war schon viel eher zu sehen: Unmittelbar nachdem er mit den beiden Verbrechern ans Kreuz geschlagen wurde, sagt er: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“
Würde ein Krimi-Autor diesem Moment neu inszenieren müssen – wäre jetzt wohl der Moment der Abrechnung. Jedem könnte Jesus das je eigene Versagen und die eigene Schuld vorwerfen.
Judas, dem Verräter.
Petrus, der ihn verleugnet hat.
Der scheinheiligen Priesterschaft, die seinen Tod von langer Hand geplant hat.
Pontius Pilatus, die brutalen Soldaten und viele andere wären jetzt fällig, mit dem eigenen Handeln konfrontiert zu werden. Damit sie sehen, was sie alles hier verbrochen haben. Er könnte ihnen den Spiegel vorhalten, ihnen ihre eigene Boshaftigkeit, ihren Egoismus und Versagen um die Ohren hauen.

Aber: Jesus bittet um Vergebung für die, die ihm Unrecht getan haben und ans Kreuz geschlagen haben. Damit eröffnet er uns als Zuschauern, den Blick in eine andere Wirklichkeit, die aufgebaut ist auf Liebe und Vergebung.
Strafe und Vergeltung sind Mittel und Werkzeuge unserer Welt. Aber Jesus hat eine andere Antwort: Vergebung.
Immer wieder hat er davon gesprochen: Von Feindesliebe und davon, immer wieder von Neuem zu vergeben. Nun sehen wir, wie Jesus diese Vergebung in der extremsten Situation, die das Leben kennt, tatsächlich lebt.

Von Vergebung reden – sie gut finden – das fällt uns nicht schwer. Und wir wissen ja auch, wohin uns eine Spirale von Vergeltung und Rache letztlich hinführt. Aber tatsächlich den Schritt zu tun: Zu Vergeben, wo einem bitteres Unrecht wiederfahren ist … das ist so schwer!

Im Vertrauen sterben

Ein letzter Blick:
„Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist.“ Das ist das letzte Wort Jesu.
Diese Worte drücken es aus: Hier stirbt ein vertrauensvoll glaubender Diener Gottes, ein Gerechter, der in sein Schicksal einwilligt. Da ist nichts zu spüren außer einem tiefen Vertrauen zu Gott.
Ein Vertrauen in den Weg, der jetzt kommt. Ein Weg, bei dem er nichts mehr selbst unter Kontrolle hat, sondern darauf vertrauen muss, dass Gott jetzt der ist, der an ihm handelt.
Geborgenheit im Sterben. Die Gewissheit, von Gott getragen zu werden, ohne zu wissen, wohin mein Gott mich trägt.
Ja, das wünsche ich mir auch für mein Leben. Für die Tage, die ich lebe, und für den Schritt, wenn mein Leben zu Ende geht.

Liebe Gemeinde,
am Karfreitag sind wir Zuschauer – und doch nicht nur das. Wir sind auch Betroffene – so, wie das Volk damals am Hügel von Golgatha:
Und als alles Volk, das dabei war und zuschaute, sah, was da geschah, schlugen sie sich an ihre Brust und kehrten wieder um.

Amen

Speichere in deinen Favoriten diesen permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.