Predigt: …alles nur innerlich? (Jesaja 51, 9-16) 28. Januar 2001

Jesaja 51, 9-16:
Wach auf, wach auf, zieh Macht an, du Arm des HERRN! Wach auf, wie vor alters zu Anbeginn der Welt! Warst du es nicht, der Rahab zerhauen und den Drachen durchbohrt hat? Warst du es nicht, der das Meer austrocknete, die Wasser der großen Tiefe, der den Grund des Meeres zum Wege machte, daß die Erlösten hindurchgingen?
So werden die Erlösten des HERRN heimkehren und nach Zion kommen mit Jauchzen, und ewige Freude wird auf ihrem Haupte sein. Wonne und Freude werden sie ergreifen, aber Trauern und Seufzen wird von ihnen fliehen.

Liebe Gemeinde,

wach auf, wach auf! Komm, mach doch etwas! Ich brauche dich.
Das ruft Jesaja seinem Gott zu – stellvertretend für die ganze israelitische Gemeinde. Ein Notruf.
Denn das Volk steckt in der Bredouille: Kriegsopfer sind sie… von den Eroberern, den Babyloniern, vom Kriegsschauplatz Jerusalem weg verschleppt in die Ferne an den Euphrat, an den Stadtrand von Babylon. Lange hatten sie in Zelten gehaust, nach einiger Zeit haben Sie dann primitive Hütten gebaut. Mittlerweile hat so mancher schon ein Häuschen sich hingestellt. Aber dennoch: sie sind immer noch Gefangene, Verschleppte,… fern der Heimat… mit den furchtbaren Erinnerungen an die blutige Eroberung ihrer geliebten Stadt Jerusalem. Die Babylonier sind ihre Herren, haben Macht und lassen das die Israeliten auch spüren.

„Wo ist er denn, euer großer Gott, an den ihr immer noch glaubt? Schaut euch doch an, euer Elend“. Solche spöttischen Sätze der Herrscher in Babylon ziehen auch ihre Kreise in den Köpfen so manches Israeliten.: „Nein, ich habe den Glauben an meinen Gott nicht über Bord geworfen. Aber ich verstehe nicht warum er das zulässt, und 4 fern der Heimat jahrelang hängen lässt. Schläft er? Ist er müde geworden, stets ein wachsames, behütendes Auge auf uns zu werfen?“

Vieles haben Sie mit Ihrem Gott schon erlebt, vieles haben ihnen ihre Väter von diesem Gott erzählt. – Von Wundern, von Rettung, von Bewahrung. Aber jetzt, jetzt ist irgendwie Funkstille.
Ja, man erinnert sich ja noch an die großen Verheißungen, die dieser Gott durch Propheten angekündigt hat: So werden die Erlösten des HERRN heimkehren und nach Zion kommen mit Jauchzen, und ewige Freude wird auf ihrem Haupte sein. Wonne und Freude werden sie ergreifen, aber Trauern und Seufzen wird von ihnen fliehen.
Diese Verheißung geht ihnen runter wie Honig, aber sie hat einen bitteren Nachgeschmack: wenn man von Gott nichts mehr hört, wenn man den Eindruck hat, dass dieser Gott eingeschlafen ist, dann sind diese schönen Worte Makulatur!

Wach auf, wach auf, zieh Macht an du Arm des Herrn!
Ich sehe vor meinem Auge einen Propheten, der in seiner Hütte mit nach oben gestreckten Armen hin und her rennt und diese Worte laut ruft, so, als wollte er Gott wirklich wachrütteln. Wach auf, komm schon, ist es dir denn egal was mit uns passiert?!

Da muss ich auch an die Jünger von Jesus denken, an die Lesung vorhin, wie sie Jesus im hinteren Teil des Boots wachgerüttelt haben: Wach auf, Meister, fragst du nichts danach, dass wir umkommen?
Von Jesus bekommen die Jünger einen Rüffel: was seid ihr so ängstlich, hat ihr denn keinen Glauben, kein Vertrauen?

Und den Propheten Jesaja würde auch so Mancher gerne zurechtweisen: Hast du denn kein Vertrauen? Glaubst du wirklich, dass Gott schläft? – Ja, wenn es einen gut geht, lässt sich das ja auch leicht sagen. Aber wer heute eine Krise durchlebt, für den vieles nur noch dunkel erscheint, der fragt sich dann schon eher: „Gott, bist du da… oder schläfst du?
Eigentlich ist so ein Weckruf an den lieben Gott Gold wert. Wer mit Gott redet, rechnet noch mit ihm.
… auch wenn er ihn wachrütteln will,
… auch wenn er nur klagt
… auch wenn er diesem Gott Vorwürfe macht

Vielleicht hat das auch etwas von einer Ehe: Jahrelanges sich-anschweigen, und Probleme-wegschweigen ist gefährlich. Irgendwann hat man sich dann vielleicht wirklich nichts mehr zu sagen. Aber dort, wo die Probleme auf den Tisch kommen, wo eine nicht gegen, sondern um den anderen kämpft, da wird sichtbar, dass man zusammengehört, dass eine dem anderen wertvoll ist.

Wach auf! Schreit Jesaja seinen Gott an, und dieser Schrei der Verzweiflung ist der zugleich schon der erste Schritt aus der Hoffnungslosigkeit hin zu einer Hoffnung, nämlich dass Gott doch nicht eingeschlafen ist, dass er seinen Arm ausstreckt, um seinem Volk zu helfen.
Und diese Hoffnung kommt nicht von ungefähr: Jesaja hält seinem Gott vor, was sein Volk schon mit ihm erlebt hat “ warst du es nicht, der das Schilfmeer austrocknete, damit Mose mit den Israeliten vor den Ägyptern fliehen konnte?“ Nicht zum ersten Mal kommt dem Propheten die Geschichte von der wunderbaren Rettung seines Volkes in den Sinn. Immer wieder, wenn es ihm nicht gut ging, hat er sich an diese alte Geschichte erinnert. Die davon erzählt, wie Gott in einer aussichtslosen Situation doch noch geholfen hat.

Jesaja spricht nicht in Eigenschaftswörtern von seinem Gott. Er spricht nicht von allmächtig, gut, ewig, groß. Geschichten erzählt er, um das macht die ganze Bibel so: Sie erzählt Geschichten von diesem Gott, denn die sind viel aussagekräftiger, viel näher am Leben als diese Eigenschaften, die wir zu gerne aufzählen.

Vielleicht reden und denken wir tatsächlich viel zu oft nur in Eigenschaftswörtern und nicht in Geschichten von Gott. Vielleicht haben Sie das selber schon mal erlebt, dass ihnen jemand „seine Geschichte“ mit Gott erzählt hat. Und haben gemerkt, dass das sie nicht kalt lässt. Weil es sie angerührt hat, weil sie mit dieser Geschichte mitgegangen sind. Solche Begegnungen mit Menschen können auch Erlebnisse sein, die den eigenen Glauben stärken.
Es kann Ihnen aber auch passieren, dass ihnen eine solche Erzählungen eher banal erscheint. Wo sie sagen würden: na ja, das könnte man auch anders deuten. Natürlich – es gibt keinen Gotteserfahrungs-Schnelltest, der entscheidet, wo in Lebensgeschichten Gott am Werk war. Da spielt auch mein eigenes Weltverständnis, meine Frömmigkeit und auch der Abstand zu dem Geschehenen hinein.

Letztlich sind es diese Erfahrungen mit Gott, die es bewirken, dass man als Erwachsener nicht mehr wie in der Schule von „der Gott“ spricht, sondern von „meinen Gott“.
Ich persönlich finde es schön, wenn Menschen unbefangen und auch ohne große Dramatik davon erzählen können, wo sie in der letzten Zeit glauben, Gottes Nähe oder seine Hilfe gespürt zu haben. Das geht meist nur in kleinen, vertrauten Kreisen, aber das ist dann für mich ein Stück Gottesdienst, wie ihn die ersten Christen gefeiert haben: wo sie die alten Geschichten der Wunder Gottes erzählt haben, und auch mit ihnen Erlebnisses der Woche zusammen kamen.
Das werden wir heute nicht tun können. Aber ich möchte Ihnen jetzt einige Minuten Zeit geben das einmal für sich selbst zu probieren: Gehen Sie einmal in ihre Lebensgeschichte, möglicherweise reicht schon die letzte Woche, vielleicht finden sie dort einen Moment, oder sogar eine kleine Geschichte, wo sie sich vorstellen können, dass Gott ihnen da besonders nahe war.

>> Stille mit Musik >>>

Jesaja hat Gott angerufen „wach auf“! Gott hat geantwortet, im Prophetenwort können wir diese Antwort Gottes nachlesen sie dann Jesaja seinem Volk gesagt hat:
Ich, ich bin euer Tröster! Wer bist du denn, daß du dich vor Menschen gefürchtet hast, die doch sterben, und vor Menschenkindern, die wie Gras vergehen, und hast des HERRN vergessen, der dich gemacht hat, der den Himmel ausgebreitet und die Erde gegründet hat, und hast dich ständig gefürchtet den ganzen Tag vor dem Grimm des Bedrängers, als er sich vornahm, dich zu verderben? Wo ist nun der Grimm des Bedrängers?
Der Gefangene wird eilends losgegeben, daß er nicht sterbe und begraben werde und daß er keinen Mangel an Brot habe.
Denn ich bin der HERR, dein Gott, der das Meer erregt, daß seine Wellen wüten – sein Name heißt HERR Zebaoth -;
ich habe mein Wort in deinen Mund gelegt und habe dich unter dem Schatten meiner Hände geborgen, auf daß ich den Himmel von neuem ausbreite und die Erde gründe und zu Zion spreche: Du bist mein Volk.

Liebe Gemeinde,

ich bin euer Tröster – sagt Gott.
Trost kann ja ganz verschieden ausfallen. Eine Form von Trost kann es sein, wenn man einem, dem es schlecht geht, beisteht; einfach nur da ist. Wenn man auch keine Lösungen hat -weil es vielleicht auch keine gibt – und zusammen mit dem anderen das aushält, die Hand hält, nicht einfach weg geht.
Die andere Form von Trost erlebt ein Kind, wenn die Mama das abgerissene Knopfauge vom Teddybär wieder annäht, oder wenn die Freundin ein verlorenes Spielzeug wieder findet.
Trost kann die Hilfe sein sich mit etwas unabänderlichen abzufinden ; Trost kann aber auch heißen dass man Abhilfe schafft. Beide Formen haben ihren Platz und ihren Wert.

Wenn Gott in unserem Predigttext, sagt, dass er der Tröster ist, dann kann das auch beide Aspekte umfassen: Gott kann mir die Kraft geben, unabänderliches zu tragen, durchzuhalten – weil ich mich von Gottes Nähe umfangen fühle, behütet, gestärkt, und damit getröstet.
Aber Gottes Trost kann auch anders passieren: wenn sich Situationen verändern, Wunder geschehen, Menschen gesund werden. Diese Form von Gottes Trost sollten wir nicht vergessen. Gerade dann nicht, wenn wir im eigenen Leben Spuren von der Nähe Gottes gefunden haben.

Ich bin euer Tröster“ sagt Gott, er will trösten, nicht vertrösten.

Als diese Jesaja fertig war die Antwort Gottes dem Volk zu verkünden, jubelten einige: endlich wird uns Gott befreien aus Babylon. Wir werden heimkehren nach Jerusalem.
Andere aber blieben sehr zurückhaltend. Als sich der Auflauf von Menschen um den Propheten herum aufgelöst hatte, kam ein Mann zu ihm. Nachdenklich sah er aus. Er blickte Jesaja an, dann sagte er langsam “ ja, Jesaja, du hast Recht. Schon jetzt sind wir dabei, befreit zu werden. Für viele von uns ist das hier in Babylon jetzt schon keine Gefangenschaft mehr. Schließlich sind wir ja schon dreißig Jahre hier. Wir haben auch kaum mehr Angst vor den Babyloniern, ja, einige von unseren Kindern haben ja auch schon Babylonier geheiratet. Und irgendwie ist es ja auch ganz nett hier. Es stimmt: Gott ist dabei, uns zu befreien – innerlich eben … “

Innerlich eben … Jesaja hörte die anderen Worte gar nichtmehr. Innerlich war er erstarrt. Hatte er Gott vielleicht falsch verstanden? Hat Gott ihnen etwa nur eine innerliche Freiheit versprochen? Keine Befreiung wie damals aus Ägypten? Warum hatte er es ihm denn dann nicht so deutlich gesagt?

Einige Jahre später stand ein anderer Mann auf dem Marktplatz der israelitischen Siedlung. Dort wo einst Jesaja stand: Aufrecht, auf einem Pferdewagen mit persischem Wappen: Er las aus einem Edikt des neuen Königs Kyrus vor:
So ergeht der Befehl, dass alle aus eurem Volk in die Heimat zurückkehren sollen, nach Jerusalem, um dort einen Tempel für ihren Gott zu errichten. Des weiteren werden die Behörden euch Silber und Gold, Vieh und andere Dinge zur Verfügung stellen, die ihr benötigt um in eurer Heimat eine neue Existenz aufzubauen.

So wurde es doch eine wirkliche Befreiung aus der Gefangenschaft. Für die, die es erlebt haben, wurde es zu ihrer Geschichte mit Gott, zu ihrem Wunder, dass sie im Album ihres Lebens ablegten.
In der Heimat Jerusalem, wo neue Schwierigkeiten auf sie warteten dort werden sie dann wohl immer wieder daran zurück gedacht haben an diesem Tag ihrer Befreiung. Und aus dieser, ihrer Geschichte die Gewissheit bekommen haben, dass Gott doch nicht schläft.

Amen  

 

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