Predigt: Renovieren und Reformieren: Abschied nehmen vom Alten (Historienpredigt) 1. November 2010, Kirchweihmontag

Predigt kirchweihmontag2010zum Kirchweihmontag mit Lesung aus der Historie Gollhofens: 1735 – 1750

Liebe Gemeinde,
auch an diesem Kirchweihmontag werden wir einen Blick in die Gollhöfer Geschichtsbücher. Hinein in das 18 Jahrhundert. Eine Zeit, in der die Herrscher sich gerne als absolutistisch regierende  Lichtgestalten verstanden. Aber zugleich wandelte sich die Welt: Die Aufklärung bricht sich langsam Bahn, eine immer besser gebildete Bevölkerung wird selbstständiger, lässt sich von Herr-schern und Kirche nicht mehr alles weismachen, sondern versucht mittels des Verstandes sich selbst ein Urteil zu fällen. So ist es nicht mehr weit bis zu den großen Umwälzungen der französichen Revolution am Ende dieses Jahrhunderts.
Aber von diesen großen Bewegungen ist um 1730 auf dem Land noch weit und breit nichts zu sehen. Ich beginne im Jahr 1735. Das Pfarrhaus samt nebenstehendem Waschhaus war 3 Jahre zuvor neu erbaut worden.

1735
Russische Truppen machen Station im Gollachtal. 6000 Soldaten lagern auf den Weg nach Westen bei Hemmersheim. Die verwegen aussehenden Gestalten machen ihr Lager zu einer Sehenswürdigkeit, so dass viele Menschen einfach nur zum neugierigen Anschauen dorthin pilgern.

1739
Ein Teil der baufälligen Kirchhofmauer an der Nordseite wird durch den Maurer Tauber aus Herrnberchtheim wieder erneuert. Auch in der Kirche wird gebaut: Der örtliche Schreiner Johann Georg Sturz erweitert die Empore der Kirche. Bereits am 28. Oktober setzt ein strenger Frost ein, der viele Feldfrüchte vernichte. Es folgt ein bitterkalter Winter, mit eiskalten Stürmen, unter dem Mensch und Tier litten. Entsprechend steigt der Strohpreis enorm an. Der 10. Januar ist der kälteste Tag dieses Winters.

1740
am 20. Oktober stirbt Kaiser Karl VI. Entsprechend wird auch in der Gollhöfer Kirche ein offizielles Trauerläuten angeordnet. In diesem Jahr erhält unsere Kirche zum ersten mal eine eigene Turmuhr. Bis dahin hatte nur die Kapelle am Kettenbrunnen eine „öffentliche Uhr”, die sozusagen von Kirche und Obrigkeit gemeinsam gepflegt wurde. Die Kanzlei des Fürsten in Einersheim verfügte, dass die Kirchturmuhr mit Zifferblättern in drei Himmelsrichtungen ausgestattet sein müsse und zur vollen und jede viertel Stunde schlagen solle.  Der Uhrmachermeister Eichhorn aus Sugenheim wurde damit beauftragt. Dieser Handwerker war, so wird berichtet, dem Wein sehr zugeneigt, so dass man viele Scherereien mit ihm hatte und erst nach einem Jahr die Uhr fertiggestellt war. Um die Uhr in den Turm einzubauen, wurde das Innere des Turms ausgebaut, zwei Fenster (die man heute noch sehen kann) eingebaut und später eine vernünftige Treppe in den Turm eingezogen. Bei dieser Gelegenheit hat man auch die Fassade des Turms erneuert. Diese Uhr blieb bis 1909, also 169 Jahre in Betrieb. Dann wurde ein neues mechanisches Uhrwerk eingebaut.

1741
Im Oktober zogen 3 Kolonnen mit insgesamt 12000 französischen Soldaten durch den Gollachgau. Zwischen Uffenheim und Biberehren schlugen sie ihr Lager auf. Es wird erleichtert berichtet, dass diese Soldaten weder plünderten noch vergewaltigten, sondern die Lebensmittel bar bezahlten. Ein Jahr später zogen weitere 45000 französische Soldaten durch unsere Gegend. Sie wollten mit Bayern verbündet im österreichischen Erbfolgekrieg in Böhmen einmarschieren. Ein halbes Jahr später sah Gollhofen die Reste der Heeres im elenden, geschlagenen Zustand wieder nach Frankreich zurückkehren.

1743
Wurde (vielleicht durch ein Unwetter) der Turmknopf auf der Spitze beschädigt und für 14 Taler von Gülchsheimer Handwerker Paul Hofmann herabgeholt.

1745
Obwohl das Pfarrhaus erst 13 Jahre alt war, mussten umfangreiche Reparaturmaßnahmen in Angriff genommen werden: Der Giebel war schadhaft geworden, außerdem hatten sich die Mauern gesetzt, so dass an vielen Stellen der Putz abgesprungen war. Maurer Grieshammer aus Uffenheim wurde mit der Instandsetzung beauftragt.

1746
In diesem Jahr war das Kirchendach dran. Die Südseite des Daches wurde mit „Plattziegeln” neu gedeckt. 1000 Stück kosteten einen Taler . Zu dieser Zeit waren im Inneren des Kirchendachs mehrere Getreidekammern angelegt. Darin konnten die Gollhöfer Bauern gegen Gebühr ihr Getreide lagern. Vor allem wurde es genutzt, wenn es für das Getreide zu wenig Nachfrage gab. So waren oft mehrere hundert Doppelzentner Getreide gelagert. Allerdings zeigte sich mit der Zeit, dass das Gewicht der Getreidevorräte das Dach beschädigten und noch dazu der Getreidewurm die Holzbalken und Dachsparren angriff. So wurden diese Getreidekammern nach einiger Zeit wieder aufgegeben. Im gleichen Jahr war eine anhaltende Dürre. Dabei versiegten auch einige Brunnen im Dorf. Der Pfarrbrunnen wurde darum durch den Felsen hindurch noch tiefer ausgehoben.

1747
Die Orgel der Kirche wurde erweitert. Der Hoforgelmacher Wiegleb aus Ansbach baute ein neues Flötenregister und einen Zimbelstern ein. Der Kostenvoranschlag betrug 96 Taler, letztlich wurden dann 115 Taler bezahlt.

1748
Der Zimmermann Michel aus Gollachostheim erneuert die Treppe im Schulhaus.

1748
Anfang September fielen zwei mal riesige Heuschreckenschwärme in die Gegend um Gollhofen ein. Teilweise waren sie so viele, dass der Boden vollends von Heuschrecken bedeckt war, so dass man das Gras nicht mehr sehen konnte. Jedoch haben die Leute sich gewehrt, indem sie mit großen Wedeln die Heuschrecken immer wieder aufscheuchten. So blieb der Schaden letztlich  doch gering. An anderer Stelle bei Estenfeld (Ort unsicher) sorgten sie jedoch für große Fraßschäden, obwohl sogar aus Würzburg Soldaten zur Heuschreckenbekämpfung angefordert wurden.

1750
Die Kirche wird renoviert. Die Wände werden geweißelt … und man überlegt, was man mit den  Fenstern im Chorraum machen soll. Damals gab es ja noch nicht diesen großen Altar, sondern einen kleinen von 1509, dessen Bilder wir  ja noch an der Nordseite der Chorwand erhalten  haben. Die bunten kunstvoll bemalten Fenster im Chorraum nahmen nach Meinung der Renovierenden zu viel Licht aus dem Chorraum weg. So wurden sie herausgenommen und  mit den uns bekannten klaren Glasscheiben ersetzt. Was aus den bunten Fenstern wurde, ist nicht überliefert, möglicherweise sind sie beim Auseinandernehmen zerbrochen und wurden weggeworfen. Die gesamte Renovierung kostete 401 Taler.

Liebe Gemeinde,
auf 15 Jahre Geschichte der Gemeinde haben wir zurückgeblickt. Und ich bin einfach erstaunt, was da laufend gebaut wird. Was heißt gebaut? Hauptsächlich wird renoviert, und erweitert. Allein die Kirche: Neues Dach, umgebaute Orgel, erweiterte Empore, ausgetauschte Fenster, installierte Uhr.
Ist die Kirche der Reformation vielleicht auch eine Kirche der Renovation? Eine, für die der aktuelle Zustand nicht allein dadurch, dass er da ist, schon als in Ordnung erachtet wird. Sondern eine, die immer auch fragt:
Wohin soll die Reise gehen?
Wohin wollen wir uns entwickeln?
Wo müssen wir etwas verändern, damit das, was uns wichtig ist, nicht unter dem Bisherigen verschüttet wird?
Wo ist etwas Altes überholt, brüchig geworden, und wir müssen es durch etwas neues ersetzen, weil sonst das, was wir haben, zusammenbricht?

Sie merken, ich rede dabei nicht nur von alter Bausubstanz. Auch wenn es um kirchliche Traditionen, Handlungsweisen, eingespielte Zuständigkeiten und dergleichen geht, kann eine Renovierung  eine Reformation bedeuten. „Kirche muss sich immer wieder erneuern”, diesen Leitspruch hat Luther geprägt, und ihm ginǵs dabei natürlich ganz und gar nicht um Baufragen, sondern um das innere Wesen von Kirche. – Und damit auch um jeden einzelnen von uns, der sich genauso stets neu orientieren muss, ob́s denn noch passt, oder man in bestimmten Bereichen im Leben umdenken muss.

Liebe Gollhöfer,
wer von Ihnen gestern hier meine Ankündigung gehört hat, wundert sich vielleicht. Denn gestern hatte ich angedeutet, dass von einem ungeheuren Frevel, der in dieser Kirche passiert ist, die Rede sein wird. Haben sie ihn in meiner Chronik entdeckt?

1750 haben die bei der Renovierung die bunten Bleiglasfenster rausgeschmissen! Unglaublich! Können sie es sich vorstellen, wie das hier gewesen sein muss? Der weite, weiß gestrichene Altarraum, ohne unsere Orgelwand, ein kleiner Flügelaltar, und dahinter unsere hohen schlanken gotischen Fenster, die  mit ihrem farbigen Glas diesen Altarraum in ein atmosphärisch dichtes Licht rücken. Überlegen sie, wie das gewirkt haben muss – so was haben wir weit und breit nicht. Und das hauen die einfach weg! Heute würde uns der Denkmalschutz aufs Dach steigen. Wenn ich dran denke, welch ein Akt das war, als wir über den Emporen ein paar zusätzliche Lampen anbringen wollten. Und unsere Vorfahren schmeißen Kunstgeschichte auf den Müll! Weil sie es hell haben wollen. Irrsinn.

Aber vielleicht rege ich mich nur deshalb so auf, weil ich ein bisschen neidisch bin. Auf diese Gemeinde damals. Die hat sich ihre Kirche umgestaltet, wie sie es für richtig hielt. Ihnen war Kunst und Tradition anscheinend zweitrangig. Meine Vermutung: Es ging darum, einen hellen und freundlichen Altarraum zu haben, man wollte Licht in die Sache des Glaubens bringen. Das Jahrhundert der Aufklärung: Auch in Glaubensdingen wollte man nicht Nebulosität verbreiten – mit einem vielfarbig schimmernden dämmrigen Altarraum. Klare Orientierung am Evangelium, ohne Schnickschnack. Ich gebe zu, das ist meine Phantasie, denn zur Konzeption des Umbaus haben wir keine Unterlagen. Aber das nehme ich doch mit:

Bewunderung für den Mut, sich von Altem zu lösen, das man als Hindernis erkannt hat. Auch um den Preis, dass man liebgewordene Fenster, liebgewordene Gewohnheiten oder liebgewordene Vorurteile hinter sich lassen muss. Manchmal gehts nur dann nach vorne, wenn man Entscheidungen trifft, die einem mal nicht leichtfallen.
Und natürlich sind wir oft erst hinterher schlauer und können erst im Rückblick beurteilen, ob wir richtig entschieden haben. Drum gehört zum mutigen Entscheiden auch immer viel Gottvertrauen und Gottes Segen. Und genau das wünsche ich ihnen und mir auch in Zukunft bei unseren äußeren und inneren Renovierungen.

Amen

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