Predigt: Schmetterlingseffekt im Reich Gottes? (Mt 4,12-17) 9. Januar 2011

“Dasschmetterlingseffekt Himmelreich ist nahe herbeigekommen” ruft Jesus. Das erinnert mich an den berühmten “Schmetterlingseffekt”

Liebe Gemeinde,
der Wetterumschwung der letzten Tage war ja ganz enorm; vom Tiefschnee zum Hochwasser. Aber die Frage ist: Wer wars? Wer ist denn der Auslöser dafür gewesen, das sich das Tiefdruckgebiet über Spanien so verhält, dass es warme Mittelmeerluft nach Deutschland schaufelt?

Diese Frage beschäftigt Meteorologen seit Jahrzehnten, und sie kämpfen immer wieder darum, möglichst präzise Rechenmodelle zu entwickeln, die erklären und vorhersagen, wie sich die Luftmassen bewegen.
Der Mathematiker und Meteorologe Edward Lorenz hat dabei schon in den 70er Jahren etwas ganz erstaunliches festgestellt: Das Wetter ist ein hochkomplexes geschehen mit Millionen von Faktoren, die da mit einfließen und sich gegenseitig beeinflussen. Und ich stelle mir vor ich hätte zweimal die absolut gleiche Wettersituation. (Sie merken, das ist ein Gedankenspiel, bzw. eine Computersimulation, weil wir das ja nicht künstlich herstellen können.) Beim ersten Versuch haben wir nach einer Woche besten Sonnenwetter in Florida.

Beim zweiten Versuch verändern wir nur eine winzige Kleinigkeit der Anfangssituation: Wir lassen einen Schmetterling durch einen englischen Vorgarten flattern. Und der macht auch ein kleines kleines bisschen Wind. Und diese winzige Veränderung führt dazu, dass sich dieses komplexe Wettergeschehen ganz anders entwickelt und nach einer Woche ein ganzer Landstrich in Florida von einem Tornado verwüstet wird.
„Schmetterlingseffekt” nennt man das in der Wissenschaft: Wenn ein winziger Faktor ein komplexes System derart beeinflusst, dass ein völlig anderes Ergebnis herauskommt. Ein Schmetterling stellt das Wetter auf den Kopf. Wer weiß, wie oft in unserer komplexen Welt schon so Kleinigkeiten wie ein verpasster Telefonanruf oder ein verlegtes Blatt Papier das Schicksal ganzer Familien oder Konzerne entscheidend verändert hat.

Matthäus beschreibt am Beginn seines Evangeliums eine Szene, die mich an diesen Schmetterlingseffekt erinnert:

12 Als nun Jesus hörte, dass Johannes gefangen gesetzt worden war, zog er sich nach Galiläa zurück.  13 Und er verließ Nazareth, kam und wohnte in Kapernaum, das am See liegt im Gebiet von Sebulon und Naftali, 14 damit erfüllt würde, was gesagt ist durch den Propheten Jesaja, der da spricht (Jesaja 8,23; 9,1): »Das Land Sebulon und das Land Naftali, das Land am Meer, das Land jenseits des Jordans, das heidnische Galiläa, 16 das Volk, das in Finsternis saß, hat ein großes Licht gesehen; und denen, die saßen am Ort und im Schatten des Todes, ist ein Licht aufgegangen.«  Seit der Zeit fing Jesus an zu predigen: Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen!

Im Norden Israels, in dem kleinen verschlafenen Nest Kapernaum, da stellt sich Jesus vor die Menschen hin und predigt eine Botschaft, die sich offenbar in einem schlichten  Satz zusammenfassen lässt. Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen!
– Da ist nichts spektakulär: Ein junger Rabbi, noch ohne Erfahrung im Leiten und Belehren von Menschen mahnt seine Zuhörer zur Umkehr.
– Da ist nichts neu: Den Ruf zur Buße, die Ankündigung des Gottesreiches, das hatten die Leute schon aus dem Munde des Johannes gehört

Aber Matthäus macht sich die Mühe und beschreibt genau, wo Jesus das tut: In dem Landstrich, von dem Jesaja schon angekündigt hat, dass von dort her ein Licht für die Menschen kommen wird, die in der Finsternis leben. Da im Norden, eine Gegend, die für viele irgendwie abgeschrieben war, wirtschaftlich schwach, religiös kaum gebildet, durch den Zuzug von Nichtjuden überfremdet. Schon zu Jesajas Zeiten war dieser Landstrich in den Augen mancher Leute eine verlorene Zone, da musste man nicht hin, von da erwartete man sich auch nichts.

Aber Jesaja kündigt an: Genau von dort aus soll ein Licht über ganz Israel aufstrahlen, von da aus wird eine Bewegung ausgehen, die unser Volk erneuert, die uns eine völlig neue Welt eröffnet.  Macht euch auf etwas gefasst!

Liebe Gemeinde,
im Kontrast zu dem Ankündigungen Jesajas, die wirklich Großes ankündigen, ist das, was Matthäus hier berichtet eigentlich sehr dürftig. Ein Rabbi mit Namen Jesus und seine Botschaft. Und auch das, was Matthäus auf den folgenden Seiten zu schreiben hat, ist nicht „Weltgeschichte”: Jesus bewährt sich als Prediger, man berichtet von beeindruckenden Wundern, aber letztlich fällt er einem Verräter aus den eigenen Reihen zum Opfer und findet einen grauenvollen Tod. Immerhin: Einiger seiner Anhänger berichten, dass sie ihm in den Tagen danach wieder begegnet sind und bekennen: Er ist auferstanden.

Mit dem Blick eines Historikers ist das nichts Weltbewegendes. Das ist nicht die Story, mit der man eine Welt umkrempelt!
Da muss keine Landkarte neu gezeichnet werden, da gibts kein Säbelrasseln – nur ein dutzend Menschen in einer römischen Provinz, die davon sprechen: Dieser Jesus ist der Sohn Gottes, für uns gestorben und von den Toten auferstanden.
Das ist alles so fern, so klein … dass man auch als fromme Seele manchmal nachdenklich wird und sich zweifelnd fragt: Wer sagt dir eigentlich, dass dein Glaube nicht bloß Einbildung ist? Soll das alles wirklich nur an diesem einen Jesus hängen, der damals gelebt hat?

Der Gottessohn als Schmetterlingseffekt?
Und ich spüre den sanften Flügelschlag eines „Schmetterlings” in Kapernaum, in Galiläa, später auch in Jerusalem. Nur ein paar Jahre lang. Und es dauert eine gewisse Zeit, und diese Welt verändert sich. Entgegen aller politischen Widerstände und trotz Verfolgung lassen sich Menschen taufen, verändern das Gesicht des römischen Reiches. Und auch zwei Jahrtausende später gründen Milliarden von Menschen ihr Leben auf dieser Botschaft von Jesus. Finden Halt und Kraft in Krisen, engagieren sich und gestalten christliches Leben, kommen Woche für Woche zusammen, um diesen Gott zu loben und Gemeinschaft in seinem Namen zu erleben.
Und dieser kleine Rabbi Jesus von vor 2000 ist ihnen wichtiger, wertvoller und näher als die gegenwärtigen Machthaber mit all ihren Einfluss.
Schmetterlingseffekt: Ein kleiner Anstoß, der ausreichte, eine gesamte Welt zu erfassen und zu verändern. War Jesus also ein „Schmetterling” der Weltgeschichte?

Regiert der Zufall oder Gottes Reich?
Liebe Gollhöfer – ich würde sagen Ja und Nein!
Ja: Denn es liegt ja auf der Hand, und wir haben es in der Weltgeschichte immer wieder sehen können, wie kleine Faktoren gewaltige Veränderungen ausgelöst haben.
Aber da muss auch ein „Nein” gesagt werden. Denn Jesus lässt sich nicht allein mit dem Schmetterlingseffekt erklären:
Denn das Phänomen lautet: Ein winziger Anstoß verändert das gesamte System – aber wer sagt, dass er es zum Guten verändert? Der Flügelschlag des Schmetterlings in englischen Vorgarten kann für Florida Sonnenschein oder Tornado bringen – der Schmetterling hat er selber nicht in der Hand. Er weiß nicht, was er auslöst, und er kann es nicht kontrollieren. Der Schmetterlingseffekt ist eine Chaostheorie.

Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen!  sagt Jesus. Das ist genau das Gegenteil: Das Reich Gottes als das Gegenstück zum Chaos, zum Regiment eines blinden Zufalls. Nämlich das Bekenntnis dazu, dass hinter dem, was in dieser Welt geschieht, Gott seinen Willen und seinen Weg mit uns Menschen verwirklicht. Das Himmelreich, das Reich Gottes, ist nahe herbeigekommen …
Gott als derjenige, der letztlich den Lauf der Geschichte in der Hand hat.
– Das lässt mich hoffen, gegen allen Geschichtspessimismus, gegen das Gefühl, das diese Welt immer unkontrollierter, alles immer profitorientierter und herzloser wird.
– Das verändert meinen Blick nach vorne: Weil nicht Weltuntergang, sondern Weltrettung das Ziel Gottes mit uns ist.
– Das gibt mir Mut für meine persönlichen, kleinen menschlichen Schritte und Entscheidungen. Dass Gott mir nahe ist auf meinem Lebensweg und es gut mit mir meint.
Jesu Ruf zur Umkehr

Das Himmelreich ist nahe herbeigekommen – so fasst Matthäus die Verkündigung Jesu zusammen. Und das ist mehr als nur eine Information , es ist auch ein Aufruf: Halte die Augen offen, schau, wo es entdecken kannst, wo du etwas davon spürst, dass Gott dir nahe ist, dich begleitet und behütet.
Und das sollte dich nicht unberührt lassen: Wenn du auf diese Gegenwart Gottes bauen willst, dann hat da ja Folgen.
„Tut Buße” übersetzt Martin Luther, Matthäus hat das Wort „metanoete” aufgeschrieben: „ändert euren Sinn”, stellt euer Denken und Handeln auf neue Füße. Fangt neu an – fangt vielleicht auch dieses neue Jahr neu an – im Vertrauen und Wissen, dass Gott in dieser Welt als Wirken ist.
Dieser Satz, so habe ich den Eindruck, zieht und schiebt zugleich.
Er zieht, macht mir Mut, wo ich ängstlich und verunsichert bin, was die Zukunft wohl so bringen mag.
Und er schiebt, gibt mir einen Schubs und ruft mich dazu auf, nicht lethargisch herumzubaumeln, sondern mit Gottvertrauen meinen Glauben in Handeln umzusetzen. Weil es keinen Grund gibt, die Hände im Schoß liegen zu lassen.

Schmetterling in Gottes Reich

Liebe Gemeinde,
wenn sie das tun, vielleicht fühlen Sie sich dann auch ein bisschen wie so ein Schmetterling im Reich Gottes. Denn eine wissenschaftliche Erkenntnis des „Schmetterling-Effekts” lautet ja auch: Die Zusammenhänge von Ursache und Wirkung von Dingen sind längst nicht so geschlossen, wie wir es uns oft vorstellen.
Da gibt viel weniger „gibts nicht” und „du  hast keine Chance” als wir uns gemeinhin oft vorstellen.

Da ist viel Luft, dafür, dass es anders kommt. Da ist viel Platz für mein Handeln, meine Hoffnungen meine Versuche, Leben aus dem Glauben heraus zu gestalten – für meine christlichen Flügelschläge.

Amen.

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