Predigt: Das „Richtig oder Falsch-Spiel”: Dürfen schwule Pfarrer ist Pfarrhaus? 20. Februar 2011

Bei pfarrersagmalder Aktion „Pfarrer sag mal“, bei der Gemeindeglieder Themen für die Predigt wünschten, kam als erste Frage: „Dürfen schwule Pfarrer ist Pfarrhaus?“

Liebe Gemeinde,
sie haben mich wirklich überrascht. Das, was in dieser „Pfarrer, sag mal”-Kiste lag war alles andere als läppisch. Nehmen wir den aktuell größten Aufreger innerhalb der evangelischen Kirche: Die homosexuellen Pfarrer oder lesbischen Pfarrerinnen, die im Pfarrhaus mit ihrem Lebenspartner  zusammenleben möchten. Unsere Kirchenleitung hat beschlossen, dass das möglich ist, wenn Kirchenvorstand, Dekan, Regionalbischof und Landeskirchenrat zustimmen. Nun wird seitdem darüber diskutiert. Auch gestern auf der Dekanatssynode in Uffenheim wars ein Thema.

Der Blick auf die Bibelstellen

Ein Aufreger ist es ja meines Erachtens, nicht, weil es um Sexualität geht, sondern um unseren Umgang mit der Bibel. Wir kommen nicht drum herum, dass an vielen Stellen homosexuelles Verhalten abgelehnt wird. Als unnatürlich, als ein Frevel, den Gott verabscheut. Im 3. Buch Mose wird Homosexualität sogar mit dem Tod bedroht. Auch im Neuen Testament lehnt Paulus Homosexualität ab und verweist darauf, dass diese Leidenschaften Gottes Schöpfungsordnung zuwiderlaufen. Er versteht Homosexualität als absolute Verkehrung des Normalen und damit ein Stück weit auch als Strafe Gottes. – Soweit also der biblische Textbestand. Von daher wäre die Sachlage eigentlich klar – Durchgehende Ablehnung von Homosexualität.

Aber es gibt noch eine andere Perspektive, die wir nicht einfach beiseite legen können: Unsere Heilige Schrift wurde von Menschen geschrieben. Teilweise kennen wir sogar ihre Namen. Wir sehen, wie unterschiedlich Matthäus und Johannes ihr Evangelium verfassten. Der eine sehr moralisch, mit einem kritischen Blick auf damalige Judentum, der andere mit der Liebe als großes Thema, mit langen, sich verknotenden Sätzen, der in vielen Erzählungen andere Schwerpunkte setzt als Matthäus. Oder Lukas: Gleich in den ersten Sätzen erklärt er: Ich selbst war bei allem nicht dabei gewesen, aber ich habe alles, was über Jesus gesagt und geschrieben wurde umfassend geprüft, und schreibe dir jetzt die wichtigsten Dinge in einer sinnvollen Ordnung auf. Es ist klar: Menschen haben diese Bibel aufgeschrieben, Also ist unsere Bibel, die wir „Gottes Wort” nennen, auch „Menschenwort”.

Liebe Gemeinde,
wir haben also eine Bibel, die Gottes Wort ist, die eine Autorität hat, und zugleich aber auch die Handschrift von Menschen trägt, die ihre eigenen Worte und auch ihre eigene Weltsicht mit in diese Texte eingebracht haben. Es ist Gotteswort in Menschenwort verpackt, und wir kriegen es nicht auseinander! Ich hab das Gefühl, Gott hat sich an diesen Text gebunden und sagt: „Das ist meine Botschaft an euch, darin findet ihr mich. Aber ihr müsst damit leben, dass Menschen diese Texte verfasst haben. Schließlich war ich auch als Mensch auf der Erde. Ich bin Mensch geworden, mein Wort ist darum auch ein menschliches.”

Der Versuch einer Sektion: Menschenwort vs. Gotteswort

Jetzt könnten wir fragen: Wenn unsere Bibel Gotteswort im Menschenwort ist – vielleicht ist die Ablehnung der Homosexualität das ja nur eine Eigenheit der menschlichen Verfasser – nicht das, was Gott eigentlich meint. Dazu gibt es auch wissenschaftliche Untersuchungen. Diese versuchen, die biblischen Aussagen von ihrem damaligen Kontext her zu deuten. Das würde heißen: Bei der Ablehnung von Homosexualität gehts eigentlich um was anderes, um die Ablehnung heidnischer sexueller Kulte, um Reste einer orientalischen Weltvorstellung, oder um den mit homosexuellen Handeln verbundenen Missbrauch von Minderjährigen im antiken Griechenland, … alles Dinge, die heute nicht mehr aufs Schwulsein zuträfen. Das Ergebnis solch einer wissenschaftlichen Betrachtung könnte lauten: An sich wird homosexuelle Praxis nicht abgelehnt.

Eigentlich eine wunderbare Lösung – mit zwei gravierenden Schönheitsfehlern: Erstens steht das „Ergebnis” der historisch-kritischen Bearbeitung im absoluten Widerspruch zu dem, was wortwörtlich dasteht.  Zweitens gerate so ich in eine Abhängigkeit von der jeweils aktuellen Forschungslage. Was ist, wenn in 10 Jahren irgendwo ein Archäologe etwas ausbuddelt, das die schönen Theorien wieder auf den Kopf stellt? Meines Erachtens ist dieser „wissenschaftliche” Weg nicht der Weisheit letzter Schluss.

Blick des Evangeliums

Ich möchte einen Weg von der Bibel her beschreiben. Schließlich erinnert mich das Engelchen über meiner Kanzel: „Suchet ich der Schrift”. Versuchen wir es doch mit dem Blick auf die Mitte des Evangeliums von Jesus Christus. Was ist das Zentrum unseres Glaubens – nämlich Christus. Da sehe ich einen Jesus, der inmitten einer Welt stand, die durchzogen war von Unvollkommenheiten, von Schuld und von Sündern. Da ist der Zöllner, die Ehebrecherin, der Leprakranke und der Besessene, ein Petrus und ein Pharisäer. In jedem einzelnen von ihnen spiegelte sich eine Welt, die nicht perfekt war, die von Grund auf durchzogen war von Schuld und Sünde, von tragischen Zusammenhängen. Und genau zu denen geht Jesus hin, zu Zöllnern, Sündern und so fort. (Denken Sie an das Evangelium von vorhin: „Nicht die gesunden brauchen mich, sondern die Kranken”, sagte Jesus). Annehmen, begleiten, erlösen von den belastenden Bedingungen – das war Jesu Weg.

Und nun wende ich dieses Gesamtbild auf die Frage der Schwulen und Lesben an.
Erstens: Dann kann ich meines Erachtens die klassischen Verdammungsurteile nicht mehr aufrechterhalten. Homosexuell fühlenden Menschen gehört wie jedem anderen auch die Zuwendung und Liebe Gottes zu seinen Menschenkindern.
Zweitens: Daraus folgt: Sie sind grundsätzlich genauso Sünder vor Gott wie du und ich. Was uns von Gott trennt, kann ganz unterschiedlich gelagert sein. Egoismus, Hochmut, Habgier – klassische Sünden, die wir ja auch nicht so einfach abstreifen können. Wir sind eben Teil einer Welt, die einen Sündenfall hinter sich hat. Wir brauchen Erlösung, egal ob schwul oder nicht.

Liebe Gemeinde.
Bis zu diesem Punkt möchte ich in Anspruch nehmen, dass das gesagte meine theologische Überzeugung ist – die ich auch jederzeit mit Bibel und Bekenntnis verteidigen würde.
Aber der nächste Schritt ist einer, da begebe ich mich auf weicheres Terrain. Da merke ich, dass mein Gewissen und meine eigene Glaubens-Prägung eine wichtige Rolle spielen. Darum kann ich mir vorstellen, dass von diesem Punkt an nicht wenige von Ihnen manches anders beurteilen würden. Aber dennoch will ich ihnen nach dem folgenden Lied meine Überlegungen nicht verschweigen.

Und weil ich mich dabei auf unsere Bibel berufen will, singen wir auch ein passendes Lied:

198 Herr dein Wort, die edle Gabe

 

Erstens: Die Sache mit der „Sünde”

Liebe Gemeinde,
angesichts dessen, war mir in Altem und Neuem Testament an klarer Ablehnung von Homosexualität entgegenkommt, kann ich mich nicht durchringen, Homosexualität als gottgewollte Spielart des Liebeslebens zu deuten. Dafür ist mir der Bibeltext zu unantastbar.

So folgere ich, das Homosexualität nicht dem entspricht, wie Gott diese Welt vorgesehen hatte. Sie ist ein Ausdruck einer Welt nach dem Sündenfall. Homosexualität möchte ich einreihen neben viele andere menschliche Schwächen. Nicht schlimmer oder dreckiger als Habgier, Rachsucht oder Hochmut. Eine von vielen Sünden, die Sie und mich manchmal dauerhaft im Griff haben.

Zweitens: Der Schwule als Mensch

Ich weiß, dass diese Sichtweise einem schwulen Freund verletzen kann.  Ich erinnere mich an ein Telefonat mit einem Bekannten, der mir am Telefon sagte: „Du, ich liebe Männer!” Und das war ein ganz frommer, ganz bibeltreu, mit Gebetskreis und so. Und dem gings da ganz dreckig, weil er merkte, wie er da als Fremdkörper in so einer frommen Gemeinschaft existierte. Was passiert, wenn das rauskommt, werde ich dann als Sünder ausgeschlossen? „Ich bin halt so,” sagt er „ und ich kann auch nicht aus meiner Haut heraus.” Und doch konnte ich auch nicht aus meiner Haut heraus, und musste sagen: „Du, ich werde dich deshalb nicht ablehnen, ich schätze dich nach wie vor. Aber bitte zwinge mich nicht dazu, dein Schwulsein als „völlig in Ordnung” anzusehen”. Und ich spüre, wie sehr ich mir da einen Jesus herbeisehne, der mit diesem jungen Mann genauso zu Tisch sitzt, wie einst im Haus des Zöllners. Ganz ohne Berührungsängste. Weil seine Liebe größer war als unsere Schuld.

Drittens: Und ins Pfarrhaus?

Wir wissen, was in den Pfarrhäusern lebt: Nämlich die gleichen Sünder wie in den Häusern rundrum. Habgierige, Hochmütige, Ehebrecher – wir sind ja auch nicht besser. Gut: Wir haben einen Anspruch, auch Vorbild zu sein, und ernsthaft an unseren Schwächen zu arbeiten. Dass ich als hochmütiger an meiner Demut arbeite. Dass der Habgierige übt zu Teilen. Dass der Streitsüchtige Schritte der Versöhnung versucht. Da haperts natürlich, wenn ein Schwuler Pfarrer mit seinem Partner dort einzieht. Da wird ja das Problem zum Dauerzustand gemacht. Nicht dran gearbeitet, sondern zementiert.
Aber Moment: Wie soll er denn ein homosexuell Veranlagter daran arbeiten? Er hat sich das ja nicht ausgesucht und er kann sich ja auch nicht einfach umpolen. Er trägt – so möchte ich es ausdrücken – ein Zeichen dieser gefallenen Welt eben an seinem Herzen, in seinem Liebesleben, was soll er da machen?

Resumée

Liebe Gemeinde,
von der Mitte der Schrift her, von Jesu Liebesgebot her, von seinem Annehmen des Sünders, des Menschen mit Defiziten und Makeln, kann ich einem Schwulen oder einer lesbischen Frau keinen zusätzlichen Minuspunkt anheften.
Und weil wir Pfarrer und Pfarrerinnen auch immer durch Jesu Blut Gerechtgesprochene sind und doch immer wieder Sünder – darum hat auch ein homosexuell veranlagter Mensch ein Existenzrecht an meiner Seite. Auch im Pfarrhaus.  Als Sünder kann ich zu einem anderen Sünder nicht sagen: Du darfst da nicht rein! Sonst müssten wir auch andere Pfarrerkollegen, die nicht kontinutierlich an ihren Sünden arbeiten, genauso hinauswerfen.

Zufrieden?
Soweit meine theologisch-logische Überlegung, auf der Basis meiner eigenen Glaubensprägung und meines Gewissens, geleitet von dem, wie ich das Evangelium Jesu verstehe. Aber ich möchte ihnen nicht verschweigen: Mein Bauchgefühl ist ein anderes, ich hab da kein gutes Gefühl, und vielleicht spüre ich auch die Erwartungshaltung konservativer Menschen, die keinesfalls einen Schwulen im Pfarrhaus sehen wollen. Und dieses Bauchgefühl ist ein starkes, das mich immer wieder ins Schleudern gebracht hat in den Tagen, in denen diese Predigt entstanden ist.

Die Predigt ist nun am Ende.  Mein Ringen um die richtige Entscheidung aber nicht. Zwischen dem Erkennen, dass theologisch gesehen Schwule oder Lesben genauso wie alle anderen als gerechtfertigte Sünder im Pfarrhaus leben können und einem diffusem unsicherem Bauchgefühl, weil all unsere Überlegungen und Erkenntnisse immer auch Stückwerk sind, und nie perfekt.

So schließe ich heute sehr bewusst mit den Worten des Kanzelsegens:
Und der Friede Gottes,
welcher höher ist als alle Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne
in Christus Jesus
AMEN

 

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