Predigt: Ist es in Ordnung, wenn wir Mais und Weizen in eine Biogasanlage schütten, während anderswo Menschen hungern? (Themenpredigt) 10. Juli 2011

„Ist pfarrersagmales in Ordnung, wenn wir Mais und Weizen in eine Biogasanlage schütten, während anderswo Menschen hungern?” Dieser Frage aus unserer “Pfarrer sag mal…”-Aktion geht diese Predigt nach. (In dieser Aktion haben Gemeindeglieder Predigten zu bestimmten Themen bestellt).

Das Brot in der Mülltonne

Da liegt es: Nicht mal angebissen ist es, das Wurstbrot in der Mülltonne auf dem Pausenhof. Eine Gurkenscheibe spitzt auf der Seite noch heraus, da hat sich jemand richtig Mühe gegeben, es sollte lecker sein, eine kleine Liebesbotschaft von Mama im Schulranzen. Aber jetzt liegt es in der Tonne, neben einem halbgegessenen Apfel und einem leeren Tetrapack mit Eistee.
So ein Blick in dem Mülleimer tut weh. Lebensmittel schmeißt man nicht einfach weg, das habe ich als Kind daheim gelernt, und das hat sich in mein Bewusstsein eingenistet. Bis heute. Und wenn wir dann doch ein altes Joghurt wegtun, oder auf der Jugendfreizeit das zuviel Gekochte auf den Kompost entsorgen, dann verfolgt uns das schlechte Gewissen.
Warum eigentlich?

Logisch gedacht ist es eigentlich egal, ob ich das halbe Schnitzel aufesse oder wegwerfe.
Esse ich es, so wird es verdaut, an Schluss bleibt ein Rest, der von Kleinstlebenswesen in seine mineralischen Bestandteile zerlegt wird und irgendwann wird der Klärschlamm wieder Grundlage für andere Pflanzen sein. Wenn das Schnitzel auf dem Kompost fliegt, beginnt letztlich der gleiche Prozess. Am Ende ist das Resultat immer das gleiche – warum also das schlechte Gewissen? Woher kommt unser Problem mit weggeworfenen Lebensmitteln?

Der hohe Wert unserer Lebens-Mittel

Es liegt wohl am ideellen Wert, den wir den Lebensmitteln zumessen. Und das kommt nicht von ungefähr:
Wir haben Eltern und Großeltern, die in der Kriegs- und Nachkriegszeit am eigenen Leib gespürt haben, wie es ist, zu Hungern, zu hoffen, dass man mit seinen Vorräten über den Winter kommt. Wo Nahrung ein knappes Gut ist, da wird uns bewusst, wie wertvoll ein ganz einfaches Stück Brot ist. – Weil davon mein Überleben abhängen kann! Und dann gewinnt dieses Brot eine gewaltige Symbolkraft – Brot, Lebensmittel stehen dann für „Leben”, für Überleben!
Denken Sie an Esau – vorhin haben wir davon gehört : Ein bisschen spottet dieser Bibeltext über diesen Esau, das alle Rechte als Erstgeborener, den in Aussicht stehenden Reichtum seines Vaters,  aufgibt für einen Teller Linsenbrei. Aber er selbst sagt es ja seinem Bruder: „Was nützt mir mein Vorrecht als ältester Sohn, als Erbe, wenn ich am Verhungern bin!”
Genauso haben es die Gollhöfer in den 40er Jahren erlebt: Leute aus den Städten kamen zu ihnen, um ihre wertvollen Schmuckstücke gegen etwas Essbares einzutauschen. Wo ich am Verhungern bin, werden alle anderen Schätze bedeutungslos.
Und zugleich, theologisch betrachtet, ist das Wachstum unserer Lebensmittel ein Geschenk Gottes. Jeder Apfel eine Liebeserklärung Gottes an uns, der diese Natur so geschaffen hat, dass wir Menschen einen Platz darin haben und uns aus einer großen Vielfalt ernähren können.  Und wir wissen, wie wir mit Geschenken umzugehen haben: Geschenke wirft man nicht weg, denn das kommt ja einer Missachtung des Schenkenden gleich.

Liebe Gemeinde, soweit meine Spurensuche. Ich merke: Es gibt durchaus plausible Gründe, die uns davon abhalten, Lebensmittel anders zu verwerten, als zur eigenen Ernährung. Zugleich stelle ich fest: Diese Gründe sind eher emotionaler Natur, es geht um Wertschätzung; nicht so sehr um Sachfragen.

Sachlicher Blick auf die Schöpfung als umfassende Lebensgrundlage

Darum möchte ich nun das Pferd von der anderen Seite her aufzäumen – eher schöpfungstheologisch – damit auch biblisch. Die biblischen Schöpfungserzählungen rühmen unseren Planeten als großes Werk Gottes. Dort hinein hat der Schöpfer uns gesetzt – in zentrale Position, mit dem Auftrag, diesen uns umgebenden Garten zu bebauen und zu bewahren. Wir haben die Macht, dieses Umfeld zu beherrschen und zu gestalten, wir haben Verantwortung, sollen bewahren, und wir sind konfrontiert mit dem Umstand, dass das alles kein Kinderspiel ist. In der Geschichte vom Sündefall hören wir vom Fluch: Mit Mühsal sollst du dich vom Acker nähren dein Leben lang. Dornen und Disteln soll er dir tragen, und du sollst das Kraut auf dem Felde essen. Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen (1.Mose 3, 17-19).

Die uns umgebende Schöpfung als teilweise widerspenstiges Arbeitsfeld aus dem wir das geschenkt bekommen oder auch mühsam erringen müssen, was wir zum Leben brauchen. Was wir wofür verwenden ist eigentlich offen. Vieles, was wir heute als Nahrungsmittel verstehen, ist ja erst ein Ergebnis zufälliger Entdeckungen oder mancher Züchtung.  Wenn ich die Schöpfungsauftrag weit fasse, kann ich sagen: Uns sind die Gaben der Natur gegeben, um daraus unser Leben zu bestreiten, um uns zu ernähren, zu kleiden, uns Obdach zu geben und um selbst kreativ tätig zu sein. Ob ich eine bestimmte Pflanze zum Essen oder zum Heizen meines Hauses verwende ist zunächst nicht von Belang.
In der Bibel wird vom Olivenbaum geschwärmt, Die Olive als Lebenmittel, das Öl wird verzehrt, als Heilmittel verwendet oder auch in Lampen verbrannt.  Wenn wir Menschen nun eine Technologie entwickeln, um aus Pflanzen Energie zu gewinnen, ist das eigentlich ein ganz normaler und gar nicht außergewöhnlicher Vorgang.

Der Mais oder der Weizen ist im Bauch genauso zweckmäßig verwendet wie im Gärbehälter einer Biogasanlage. Er dient so oder so dem Auskommen der Menschen, entspricht dem Auftrag des Bebauens uns Bewahrens. Also: Kein Problem, wenn wir Weizen, Mais, Grassilage oder ähnliches zum Gewinnung von Biogas einsetzen.

Der Blick auf unsere Nächsten

Liebe Gemeinde, auch wenn es unserem Bauch-Gefühl widerspricht: Ich sehe keine Sünde darin, Pflanzen, die wir essen könnten, zur Biogasgewinnung zu verwenden.
Eine Sünde wäre es dann, wenn ich neben mir jemanden habe, der Hunger hat und ich werfe das Lebensmittel in die Biogasanlage damit ich mein Haus heizen kann. Dann wirds problematisch: Wenn ich den anderen hungern lasse, während ich mir mit den aus den Feldfrüchten gewonnenen Biogas die Füße wärme – dann ist es eine Sünde, dann habe ich das Liebesgebot Jesu mit genau diesen Füßen getreten.

Nun ist die Frage: Ist es so? Müssen Menschen hungern, weil wir auf einigen unserer Felder nicht Lebensmittel, sondern Biogas-Substrate anbauen?
In Gollhofen und Deutschland wohl eher nicht.
Aber wie sieht das global aus?

Es gibt ja den Vorschlag: Wir könnten ja den angebauten Weizen statt in die Biogasanlage zu geben, in die Krisenregionen der Welt exportieren. Aber ich denke, damit greifen wir zu kurz: Logistisch und wirtschaftlich erscheint das nicht sinnvoll und würde die dortigen Bauern in den Ruin treiben, wenn die Leute dort nur noch das kostengünstige gespendete Europa-Getreide konsumieren.

Der Blick in die global vernetzte Welt

Aber wie ist das, wenn in Zukunft die Lebensmittel-Produktion tatsächlich global nicht mehr mit der Nachfrage mitkommt? Wenn ganze Volkswirtschaften ein Problem bekommen, genügend Getreide, genügend Feldfrüchte für ihre Bevölkerung bereitzustellen, weil immer mehr in Energiepflanzen investiert wird, weil der wirtschaftliche Ertrag größer ist, weil die Biogasanlage für den Doppelzentner Weizen mehr zahlen kann, als ein Einkäufer aus Brasilien?
Dann wird die Angelegenheit schwierig.
Es wird aber noch schlimmer: Wenn man weiß, das dieses Land zu wenig Brotgetreide anbaut, weil man lieber stattdessen im großen Stil Soja für unser Kraftfutter und Zuckerrohr für unseren Biosprit anbaut – denn das bringt Devisen! Und die braucht ein verschuldetes Land wie Brasilien dringend.
Willkommen im Wahnsinn der Weltwirtschaft!

Ist ein Gollhöfer Bauer, der seinen Mais oder Weizen oder sonstwas in die Biogasanlage fährt verantwortlich für diese Zustände?
Ich denke: Er hat sie nicht verursacht, nicht gewollt und kann mit einem Boykott der Biogasanlage auch nichts dagegen tun.
Da kommt seine Verantwortung an eine Grenze. Wir sind alle Teil dieser Welt die so absurd funktioniert, meist zum Vorteil von uns Industrienationen – sind sogar Nutznießer mancher Marktmechanismen und damit irgendwie mitschuldig, ohne persönlich daran mitgewirkt zu haben.

Zusammenfassende Gedanken

Liebe Gemeinde, was soll man nun abschließend sagen?
„Ist es in Ordnung, wenn wir Mais und Weizen in eine Biogasanlage schütten, während anderswo Menschen hungern?” Das war die Frage, und ich möchte zusammenfassend einige Thesen formulieren:
Erstens: Es ist in Ordnung, wenn wir das, was auf unseren Feldern wächst, auch zur Deckung unseres Energiebedarfs in einer Biogasanlage einsetzen. Auch das ist eine Form, der Bebauens und Bewahrens, gerade weil dadurch unser Verbrauch an Öl und Erdgas reduziert wird.

Zweitens: Aber es wäre nicht in Ordnung, wenn dadurch Hunger an anderen Orten befördert würde, wenn wir dadurch der Weltwirtschaft nötige Lebensmittelreserven entziehen würden. Aber dazu kann ich mit meinen geringen Kenntnissen kein Urteil fällen.

Drittens: Ein letzter Punkt – und der betrifft nicht nur unsere Landwirte, sondern uns alle: Es ist nicht in Ordnung, wenn wir uns einbilden, durch Biogas alle Energieprobleme lösen zu können. Wir leben auf einem Planeten auf dem die Ressourcen geringer werden und die Bevölkerung wächst. Wir werden in vielen Bereichen lernen müssen, sparsamer zu sein. Energiereserven zu schonen und uns mit weniger begnügen müssen.
„Und Gott der HERR nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte.” – Bebauen und bewahren , dazu brauchen wir in Zukunft viele gute Ideen. Die Nutzung von Biogas kann da ein kleiner Baustein sein, einer von vielen.  Denn keiner will einmal in unserer hochtechnisierten und von Kapital strotzenden  Welt angesichts vernichteter Schöpfung und zerstörter Lebensgrundlagen wie Esau dastehen und sagen: „Was nützt mir mein Vorrecht als Erbe dieser Welt, wenn ich am Verhungern bin?”

Amen

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