Predigt: Der Tag der letzten Mohikaner? (Johannes 17) Himelfahrt 2001, 24. Mai 2001

Liebe Gemeinde,

Himmelfahrt feiern wir heute. Himmelfahrt, irgendwie das Fest derer, die übriggeblieben sind.

Übriggeblieben sind die Jünger: Eine lange Zeit waren sie mit Jesus unterwegs, hatten ihn erlebt, hatten viel von ihm erfahren, und hatten sich auf ihn verlassen. Jetzt ist Jesus zurückgekehrt zu seinem Vater, zu Gott. Und sie sind die Übriggebliebenen; die jetzt erstmal nicht wissen, wie es weitergehen könnte – ohne ihren Lehrer.

Übriggeblieben sind auch wir. Die Christen, die diesen Tag als biblischen Feiertag verstehen und begehen und noch nicht ganz selbstverständlich vom „Vatertag“ reden. Vielen Leuten ist eben der Glaube ziemlich egal. Am Tagen wie heute wirds mal wieder deutlich – aber an sich ist das ein grundlegendes Problem.  An Tagen wie diesem könnte man sich wirklich fühlen wie der letzte christliche Mohikaner auf dem sinkenden Kirchenschiff.
Da passt es ja noch ganz gut, dass die Fränkische Landeszeitung gestern vom Besuch des Philosophen Schnädelbach an der Augustana-Hochschule in Neuendettelsau berichtet hat. Der Mann behauptet mit Überzeugung, dass das Christentum von Beginn an eine Handvoll Fehlentscheidungen gefällt hat – zum Beispiel dass wir Mission treiben oder dass wir uns als Sünder vor Gott verstehen – und diese Fehler werden dazu führen, dass das Christentum aussterben wird.  
Himmelfahrt, Jesus lässt seine Jünger zurück, von jetzt an sind sie auf sich alleine gestellt. Sie können nicht wie bisher bei jedem Problem schnell zu ihren Lehrer rennen und ihn um Rat fragen. Eine enorme Herausforderung. Aber: Jesus lässt seine Jünger nicht im Regen stehen. Unser Predigttext aus dem Johannesevangelium ist so eine Art Vermächtnis – Testament – für seine Jünger.

Ich lese aus dem 17. Kapitel des Johannesevangeliums:
Ich bitte aber nicht allein für sie, sondern auch für die,  die durch ihr Wort an mich glauben werden, damit sie alle  eins seien. Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir, so sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaube, daß du mich gesandt hast.
Und ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, die du mir gegeben hast,  damit sie eins seien, wie wir eins sind, ich in ihnen und du in mir, damit sie vollkommen eins seien und die Welt erkenne, dass du mich gesandt hast und sie liebst, wie du mich liebst.
Vater, ich will,  daß, wo ich bin, auch die bei mir seien, die du mir gegeben hast, damit sie meine Herrlichkeit sehen, die du mir gegeben hast; denn  du hast mich geliebt, ehe der Grund der Welt gelegt war.
Gerechter Vater, die Welt kennt dich nicht; ich aber kenne dich, und diese haben erkannt, dass du mich gesandt hast.
Und ich habe ihnen deinen Namen kundgetan und werde ihn kundtun, damit die Liebe, mit der du mich liebst, in ihnen sei und ich in ihnen.

Soweit unser Predigttext.

Liebe Gemeinde,
es ist nicht ganz einfach, diese Worte auf Anhieb zu verstehen. Vieles kommt verwirrend oft vor, verschieden gedreht und gewendet. Ungewöhnlich für eine Abschiedsrede, die nochmal alle 12 Jünger auf den rechten Kurs trimmen soll.

Aber Moment: Darum geht es hier auch gar nicht! Sie haben es ja sicher bemerkt: Was Jesus hier gesprochen hat ist ein Gebet. Ja, ein Gebet an Gott. Also eine Bitte vor Gott zugunsten der Jünger. Jesus hält ihnen also keine Moralpredigt oder verbreitet Durchhalteparolen für die nächsten 2000 Jahre. Er fasst nicht das wichtigste noch mal in Versform zum Auswendiglernen zusammen. – Er macht nicht Druck, zieht nicht die großen Erwartungen hoch sondern im Gegenteil: In seinem Gebet verweist er auf Gottes Hilfe, auf das was an Hilfe, an Unterstützung, an Möglichkeiten für die Übriggebliebenen da ist. – ER zeigt nicht aufs „soll“, sondern aufs „haben“.

Der eine große „haben“-Punkt, um den das Gebet kreist, ist das „ein sein“. Jesus spricht davon, dass er und der Vater eins sind. Als studierten Theologen wird mir bei diesem Begriff  heiß und kalt. In den vergangenen Jahrhunderten haben sie sich feurige Gefechte darüber geliefert, wie das „eins sein“ von Gott und Jesus Christus zu denken wäre. Mit Hilfe der griechischen und später der mittelalterlichen Metaphysik ein Abenteuer ohnegleichen.
Ich möchte es einmal ganz einfach sagen: Zwei sind eins, wenn man sich den einen nicht ohne den anderen vorstellen kann. Wenn man von Gott nicht reden kann, ohne zugleich an Jesus zu denken; und wenn man nicht von Jesus reden kann, ohne zugleich an Gott den Vater zu denken. So einfach kann Theologie sein…

Jesus bittet Gott:   Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir, so sollen auch sie in uns sein. Wenn ich weiterdenke, was ich gerade angefangen habe, heißt das: Ich kann mir Lieschen Müller nicht ohne Gott denken. Wenn Ihnen das zu seltsam klingt: Formulieren Sie den Satz in der Ich-Form; dann funktioniert es: Ich kann mich nicht ohne Gott denken – oder: Ich kann mir ein Leben ohne Gott nicht vorstellen.
Ja, so verstehe ich diese Bitte Jesu: Seine Jünger sollen Christen werden, die sich ein Leben ohne Gott nicht vorstellen können. Menschen, für die ihr Glaube ein Grundbestandteil ihres Lebens ist; nicht nur ein schickes Zubehörteil.

Dieses „eins sein“ von uns Christen mit unserm Gott ist eine Verheißung, die uns durch diesen Predigttext gemacht wird. Ich möchte sie daran erinnern: Das ist kein „soll“, sondern ein „haben“. Nicht wir sollen das hinbekommen (ich wüsste auch nicht, wie man das machen könnte), sondern das ist Gottes Geschenk an uns. Dass wir im Glauben und in den Glauben hineinwachsen.
Vielleicht fängt das im Kindesalter an, wo noch manches ungewohnt ist, wo manches „typisch christliche“ seltsam erscheint, man sich von den Eltern oder vom Pfarrer zum Gottesdienstbesuch genötigt sieht. Wo bestimmte Verhaltensweisen als Verbote und Gebote mir gegenüberstehen wie der berühmte erhobene Zeigefinger.
Aber dann kommt die Zeit des „in den Glauben hineinwachsens“. Und irgendwann merke ich: Komisch, ich kann mir gar nicht vorstellen, ohne Gott zu leben.

Das ist der Moment, wo dieses „eins sein“ spürbar wird. Das ist nichts spektakuläres, sondern die Erfüllung dieses Gebets Jesu.
Wo das sich erfüllt, kann der Glaube auch Ausstrahlung besitzen, dass andere Leute davon angesteckt werden. Dann geht das Evangelium weiter … als Schatz zum Leben … nicht als irgendeine amtliche christliche Lehre.

Liebe Gemeinde,

Der Philosophieprofessor Schnädelbach, den ich zu Beginn der Predigt erwähnt hatte, weiß viel, hat viel verstanden, und hat auch offensichtliche Schwächen und Missstände in der Kirchengeschichte aufgedeckt.
Er hat sie anscheinend auch vor Augen: Das kleine Häuflein Jünger, die unsicher nach Himmelfahrt in die Welt blicken. Wenn man da von außen drauf schaut, könnte man ja wirklich denken: Die machen es nicht mehr lange, über kurz oder lang erledigt sich diese Glaubensrichtung von selbst.
Das konnte man damals denken und heute auch wieder.

Aber mit einer einzigen Erfahrung wird klar, dass im Glauben eine Dynamik liegt, die gegen jede Abgesänge auf den Glauben spricht:
Die wundersame und wunderbare Erfahrung, wenn man entdeckt: „Ich kann und will mir ein Leben ohne Gott nicht vorstellen“.

Amen

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