Predigt: Die Schlachtrösser sind unter uns! (Jeremia 8, 4-7) 18. November 2001, Volkstrauertag

Liebe Gemeinde,

wir schreiben das Jahr 605 vor Christus. Die politische Lage ist verfahren, so würde man das wohl heute bezeichnen. Aus dem Osten drohte Gefahr: Das Weltreich von Babylon forderte hohe Abgaben von dem kleinen Königreich Juda. Bisher konnte der König von Jerusalem durch diese Tributzahlungen die Babylonier auf Abstand halten.
Aber so konnte es nicht weitergehen! Eigentlich sah es kein Mensch in Juda ein, weshalb man sich von diesen Herrscher im Osten ausnehmen lassen sollte. Natürlich hatte man als kleines Land überhaupt keine Chance gegen diese Großmacht. Aber da gab es ja noch die Ägypter. Mit ihnen könnte man doch eine Allianz gegen Nebukadnezar, den König von Babylon bilden.
Überhaupt war Ägypten gar nicht so schlecht angesehen in Juda. Ägypten das war einfach schick. Tolle Mode kam da aus dem Westen, eine andere Kultur… man sagte: „Die Ägypter sind viel lockerer und toleranter als wir Juden. Auch mit der Religion ist das in Ägypten viel spannender, mit ganz verschiedenen Göttern, jeder mit einer anderen Bedeutung und überhaupt nicht so streng.“

Man lehnte sich an, an das attraktive Ägypten. Politisch versuchte man eine Koalition, und damit verbunden übernahm man auch einiges von deren religiösen Traditionen. – Vielen aus Juda kam das auch entgegen, schließlich war der Glaube an den einen Gott für so manchen nur noch Formsache. Man ging in den Tempel zu den vorgeschriebenen Opfern und Festen ; aber daheim spielte dieser Gott aus Moses Zeit kaum mehr eine Rolle. Glaube spielte sich bei etlichen, wenn überhaupt, nur im Tempel ab.

In dieser Zeit tauchte ein Prophet auf, der nach der Meinung vieler Zeitgenossen seinen Beruf verfehlt hatte. Der Prophet Jeremia predigte nicht wie seine Kollegen im Auftrag des Priesters und des Königs, sondern auf eigene Rechnung, so zusagen ehrenamtlich – oder wie er sagte: „im Auftrag Gottes“.

Im Buch Jeremia sind seine Reden aufbewahrt. Unser Predigttext stammt aus dem 8. Kapitel.

4So spricht der HERR: Wo ist jemand, wenn er fällt, der nicht gern wieder aufstünde? Wo ist jemand, wenn er irregeht, der nicht gern wieder zurechtkäme?
5 Warum will denn dies Volk zu Jerusalem irregehen für und für? Sie halten so fest am falschen Gottesdienst, daß sie nicht umkehren wollen.
6 Ich sehe und höre, daß sie nicht die Wahrheit reden. Es gibt niemand, dem seine Bosheit leid wäre und der spräche: Was hab ich doch getan! Sie laufen alle ihren Lauf wie ein Hengst, der in der Schlacht dahinstürmt.
7 Der Storch unter dem Himmel weiß seine Zeit, Turteltaube, Kranich und Schwalbe halten die Zeit ein, in der sie wiederkommen sollen; aber mein Volk will das Recht des HERRN nicht wissen.

Liebe Gemeinde,
das sind heftige Worte, die der Prophet hier öffentlich kundtut. Aber ernst genommen wurde er kaum. Beim Volk in Jerusalem und darum herum wurde er eher belächelt. Viel lieber hörte man auf die anderen Propheten, die viel davon redeten, dass Gott seinem Volk immer treu sein werde und immer für das Volk da ist – egal was es tut. Wer hört denn schon auf einen Spinner, der den Untergang des eigenen Volkes prophezeit?

Der König Jojakim nahm den Propheten schon eher ernst – und zwar als Bedrohung. Denn schließlich mäkelte dieser Jeremia öffentlich an der Politik des Königs herum. Und das als Prophet, der doch von Politik wirklich keine Ahnung haben konnte.
So würde Jeremia von den einen ausgelacht, und von den anderen beschimpft, verprügelt und sogar am Ende ins Gefängnis gesteckt.

Wir würden heutzutage gar nichts mehr von diesem Propheten wissen, wenn er nicht doch letztlich Recht behalten hätte. Wie der Prophet angekündigt hatte, rannte das Volk Israel mit seiner an Ägypten und nicht an Gott orientieren Bündnispolitik ins Verderben. Es stellte sich letztlich heraus, dass auf Ägypten kein Verlass war und darum man mit seinem Aufstand gegen Nebukadnezar von Babylonien plötzlich allein dastand – mit tödlichen Folgen, den Untergang des Volkes von Juda.

## das Schlachtross ###

Jeremia hatte es angekündigt: Wie ein Schlachtross, das dank seiner Scheuklappen ohne zu zögern geradewegs auf den Feind zustürmt, sind sie ins offene Messer gelaufen. Da gibt’s kein halten mehr, kein Denken, kein „ja aber“. Augen zu und durch! Das ist das Motto von solchen Schlachtrössern. Nicht aus Versehen, sondern das ist eben Methode: Einen Hengst zu haben, der geradewegs durchmarschiert, egal was kommt. Man ist ja auf dem offenen Schlachtfeld.
Dazu hat man Schlachtrösser, die aber dank ihrer brachialen Methode auch schnell zu geschlachteten Rössern werden.

Und die Kritik des Propheten Jeremia ist klar:
Ihr seid auf dem falschen Weg, aber ihr wollt euch gar nicht korrigieren lassen!
Ihr seid ja nicht einmal bereit, darüber nachzudenken, ob ihr vielleicht auf dem ganz falschen Dampfer seid!
Ihr seid zu träge, um überhaupt noch einmal nachzudenken!
Das hat die Welt er noch gar nicht gesehen:
Wo gibt es denn sonst jemand, der wenn er fällt, nicht gern wieder aufstünde?
Wo gibt es denn sonst jemand, der wenn er irre geht, der nicht gern wieder zurechtkäme?
Aber ihr wollt ja nicht!
– So der Prophet –

### Schlachtrösser unter  uns ###

Liebe Gollhöfer,
Da weiß ich auch nicht so genau, ob Jeremia da wirklich Recht hat, dass die Kinder Israels die Einzigen sind, die wie ein Schlachtross immer nur geradeaus weiter rennen.
Heute am Volkstrauertag erinnern wir uns an Zeiten in unserer deutschen Geschichte, wo man auch sagte: Augen zu und durch… wenn schon Krieg dann richtig, dann total… bis zum letzten… und wenn wir unsere Jugendlichen zum Volkssturm heranziehen müssen.
Eine Zeit war das, wo es auch zur Methode gehörte, keine Kritik zuzulassen, keine Korrektur am einmal eingeschlagen Kurs zu erlauben. Lieber erschießt man den Bürgermeister, weil er die weiße Fahne raus hängt, als dass man der Vernunft nachgibt und kapituliert.

Da erscheint es ja richtig harmlos, was sich vor zwei Tagen im Bundestag abgespielt hat. Aber dennoch sah ich da auch einige Schlachtrösser, die dank der Scheuklappen mit Namen „Vertrauensfrage“ nicht wirklich abgestimmt haben, wie es ihnen ihr Gewissen gesagt hätte.

Ich vermute aber auch, dass wir genügend Schlachtrösser vor oder auch hinter der eigenen Haustür herumlaufen haben. Wo einer einmal jemand eine falsche Entscheidung gefällt hat, aber auch nach Jahren keine Lust hat, das zu verändern. Lieber Augen zu und durch!
Wo sich zwei miteinander verkracht haben, vielleicht war es ja nur eine Kleinigkeit, und seitdem führt man seinen Kleinkrieg. „Ich habe gar keine Lust mich mit dem andern zu versöhnen, soll doch der zuerst kommen “ – Augen zu und durch… lieber gar nicht genauer drüber nachdenken, sonst könnte man ja entstehen dass man auch selber mit dran Schuld ist. Lieber gar nicht hinschauen, sonst könnte man ja eine zu Versöhnung ausgestreckte Hand sehen.

„Wo ist jemand, wenn er irre geht, der nicht gern wieder zurechtkäme?“ – mein lieber Prophet Jeremia ich glaube das gibt’s öfters – nicht nur im Jahre 605 vor Christus.

### Die Schuldfrage ####

Das menschliche Herz ist nun mal ein ziemlich träger Muskel. Der Volksmund greift ganz offensichtlich Jeremia auf, wenn es heißt “ ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert „. Sich verändern, auch den richtigen Weg zurückkehren, erscheint da unheimlich schwierig.
Denn jedesmal, wenn ich mich tatsächlich umorientiere und einen falschen Weg verlasse, dann gestehe ich mir ja automatisch ein, dass ich einen Fehler gemacht habe, Schuld auf mich geladen habe.
Und damit kommen viele Menschen nicht mehr zurecht! Weil sie vergessen haben, wie man Schuld los werden kann. Anscheinend ist ihnen irgendwann entfallen, dass hier (!) Einer am Kreuz hängt, der für diese Schuld schon gestorben ist. Das ist unser Privileg als Christen: Wir können Schuld und Versagen eingestehen, und ändern und von vorne anfangen. – Gott sei Dank.

### Der richtige Zeitpunkt ###

Es ist nicht immer so ganz leicht für mich Menschen, überhaupt zu merken, dass ich in die falsche Richtung marschiere. Da beneide ich die Tiere. Denn die haben ihren Instinkt, der Ihnen sagt was sie tun sollen. Der Storch braucht sich überhaupt nicht groß Gedanken über Flugrouten und Zeitplanungen machen, sein Instinkt gibt ihm vor, man es los geht und wohin er fliegen muss.
„Der Storch unter dem Himmel weiß seine Zeit, Turteltaube, Kranich und Schwalbe halten die Zeit ein, in der siehe wiederkommen sollen um aber mein Volk will das Recht des Herrn nicht wissen.“
Ja selbst, wenn man das Recht des Herrn halten will, hat man ja keinen eingebauten Kompass, der einen sagt ob man auf dem richtigen Weg ist. Wir haben keinen Instinkt wie die Amsel. Aber manchmal merke ich dann doch, wo Gott mir sagt, dass etwas nicht stimmt.
Mal ist es das schlechte Gewissen, das sich rührt.
Mal wird mir beim Lesen eines Textes aus der Bibel oder beim Hörern einer Predigt gleichzeitig heiß und kalt. Da weiß ich dann: heute bis du gemeint!

Vielleicht sind es auch Tage wie heute, die einen dabei helfen. Wenn wir im Blick auf das tragische Schicksal des Volkes Gottes, und auf das Elend unserer beiden Weltkriege erschrecken – und darüber nachdenken, wo wir selber getroffen werden von diesen Versen des Propheten Jeremia: „Wo ist der jemand, wenn er irre geht, der nicht gern wieder zurechtkäme?“

Amen

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