Predigt zum Karfreitag 2002: Schwäche ist eine Stärke höherer Ordnung (Jesaja 52, 1-12) 29. März 2002

Liebe Gemeinde,

Wie wird es wohl den Jüngern Jesu ergangen sein – nachdem ihr Herr gekreuzigt worden war? Ich stelle mir da zum Beispiel Matthäus vor. Er war Zolleinnehmer gewesen bis er Jesus begegnet ist. Diese Begegnung hat sein Leben völlig verändert: Er hat seinen sehr lukrativen aber auch anrüchigen Job aufgegeben und ist mit Jesus durch das Land Israel gezogen.
Er hat erlebt, wie Jesus handelte, wie er Kranke heilte, wie er anders mit den Menschen umging als die Schriftgelehrten, und wie überzeugend er seine Botschaft vom kommenden Reich Gottes verkündigte. In Matthäus reifte die Erkenntnis: Jesus muss der Messias sein.

Und er hat mitbekommen, wie sich eine Gegnerschaft gegen Jesus bildete, wie immer deutlicher wurde, dass diese Botschaft manche begeisterte und andere ihr ganz ablehnend gegenüberstanden.
Dann die Woche vor der Kreuzigung. Alles war sehr schnell gegangen… Jesus scheint es gespürt zu haben, was da auf ihm zukam, denn er redete immer wieder von seinem kommenden Leiden. Dann das letzte Mahl am Donnerstag, gleich darauf die Festnahme und am Morgen danach die Kreuzigung.

Wie die anderen Jünger auch, war sicher auch Matthäus bis ins Mark erschüttert. Schließlich hatten sie alle ihre Hoffnung auf Jesus gesetzt – und jetzt war er tot. Alle Hoffnungen waren dahin. Matthäus hatte vom Reich Gottes geträumt und sich vorgestellt wie es sein würde an der Seite Jesu.

Für die Gegner war die Sache mit der Kreuzigung erledigt. Sie gingen wieder ihrer Wege, und an ihren Augen konnte Matthäus ablesen was sie dachten: „Da seht ihr es, was passiert wenn sich jemand einbildet, von Gott geschickt zu sein. Keinen Finger hat Gott für diesen Jesus krumm gemacht. Der ist dort genauso elend gestorben wie die beiden anderen Verbrecher links und rechts neben ihm.“
Solche Worte bleiben nicht ohne Folgen. Matthäus kommt ins Grübeln: vielleicht bin ich wirklich in die Irre gegangen und einem Verführer nachgelaufen? Und der Tod am Kreuz… ist der vielleicht eine Strafe Gottes, weil Jesus sich selbst zum Heiland erklärt hat?

Liebe Gemeinde,
ganz verschiedene Gedanken könnten den Jüngern damals durch den Kopf gegangen sein. Aber eine Überlegung lag ihnen wahrscheinlich ganz und gar fern: Die Vorstellung dass dieser Tod Jesu am Kreuz irgend etwas Positives bedeuten könnte.

Und damit kämpfen viele von uns eigentlich auch heute noch. Wir tun uns mit dem Karfreitag schwer, fragen nach dem „warum“ des Sterbens Jesu. Hätte es nicht auch irgendwie anders gehen können? Will Gott denn wirklich unbedingt Blut sehen?

Unser heutiger Predigttext kann uns eine Hilfe sein, diesen Weg Jesu Christi zu verstehen. Er steht beim Propheten Jesaja, im 53. Kapitel. Darin wird nicht direkt von Jesus gesprochen; von einem Knecht Gottes ist dort die Rede.

Predigttext Teil 1

Er schoß auf vor ihm  wie ein Reis und wie eine Wurzel aus dürrem Erdreich. Er hatte keine Gestalt und Hoheit. Wir sahen ihn, aber da war keine Gestalt, die uns gefallen hätte.
3 Er war der  Allerverachtetste und Unwerteste, voller Schmerzen und Krankheit. Er war so verachtet, daß man das Angesicht vor ihm verbarg; darum haben wir ihn für nichts geachtet.
4 Fürwahr,  er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen. Wir aber hielten ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre.
5 Aber er ist um unsrer Missetat willen verwundet und  um unsrer Sünde willen zerschlagen.  Die Strafe liegt auf ihm, auf daß wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt.
6 Wir  gingen alle in die Irre wie Schafe, ein jeder sah auf seinen Weg. Aber  der HERR warf unser aller Sünde auf ihn.
7 Als er gemartert ward,  litt er doch willig und tat seinen Mund nicht auf wie ein  Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird; und wie ein Schaf, das verstummt vor seinem Scherer, tat er seinen Mund nicht auf.
8 Er ist aus Angst und Gericht hinweggenommen. Wer aber kann sein Geschick ermessen? Denn er ist aus dem Lande der Lebendigen weggerissen, da er für die Missetat meines Volks geplagt war.
9 Und man gab ihm sein Grab bei Gottlosen und bei Übeltätern, als er gestorben war, wiewohl er niemand Unrecht getan hat und  kein Betrug in seinem Munde gewesen ist.

So weit der erste Teil des Predigttextes.

Der Prophet spricht aus der Sicht des Volkes über diesen Knecht Gottes: „Er war voller Schmerzen und Krankheit. Wir haben ihn verachtet und gedacht dass Gott ihm geschlagen hätte.“
Ein abschätziger Blick der Leute geht da hinüber zu diesem schwächlichen Häuflein Elend. „Armer Hund – was muss der aushalten – wofür muss der wohl büßen?“
Der Prophet Jesaja sagt aber etwas ganz anderes: „Er ist um unsrer Missetat willen verwundet“.

So etwas gab es anscheinend schon beim Propheten Jesaja: Menschen erkaufen sich ihre Stärke durch das Leiden der Schwächeren. Da werden Machtpositionen durch Unterdrückung gesichert, andere ausgebeutet, belogen, betrogen, kurz gehalten.
Und gar nicht so selten werden diese Starken bewundert und ihre Opfer verachtet. Das Cabrio des Anlageberaters wird bewundert – und die Oma, die er um ihre Ersparnisse gebracht hat, wird höchstens mitleidig belächelt.
Wir trinken gesunden Orangensaft und fühlen uns dabei als gute Menschen, dabei wird dieser gesunde Saft manchmal unter Bedingungen angebaut, die für die Bauernfamilien in Südamerika alles andere als gesundheitsfördernd sind.

Im kleinen und im großen kann man das beobachten: Unsere Stärke ist oft erkauft durch die Schwäche der anderen, und da geht es manchmal nicht ohne Schuld ab.
Eine Schwäche will sich aber kaum jemand geben. Wer Schwäche zeigt, der hat ein Problem, nämlich fehlende Stärke.

Um es mathematisch auszudrücken: Stärke ist etwas wert; Schwäche bedeutet Abwesenheit von Stärke und ist damit gar nichts wert.

Nun möchte ich ihnen aber die zweite Hälfte unseres Predigttextes nicht vorenthalten:

10 So wollte ihn der HERR zerschlagen mit Krankheit. Wenn er  sein Leben zum Schuldopfer gegeben hat,  wird er Nachkommen haben und in die Länge leben, und des HERRN Plan wird durch seine Hand gelingen.
11 Weil seine Seele sich abgemüht hat, wird er das Licht schauen und die Fülle haben. Und  durch seine Erkenntnis wird er, mein Knecht, der Gerechte, den Vielen Gerechtigkeit schaffen; denn  er trägt ihre Sünden.
12 Darum will ich ihm die Vielen zur Beute geben, und er soll die Starken zum Raube haben, dafür daß er sein Leben in den Tod gegeben hat und  den Übeltätern gleichgerechnet ist und er die Sünde der Vielen getragen hat und  für die Übeltäter gebeten.

Haben sie gemerkt, was hier passiert ist? Gott spielt unser Spiel von Stärke und Schwäche nicht mit. Er kehrt unsere Logik um. Bei ihm ist der Schwache derjenige, der sein Ziel erreicht, während die Starken seine Beute sind.

Gott ist auf der Seite der Schwachen. Diesen Satz haben sie sicher schon öfter gehört. Und Jesus hat das auch vorgemacht:
Er hat die Kranken zu sich kommen lassen, sie geheilt.
Mit denen Ausgegrenzten hat er zu Tisch gesessen und sie so in menschliche Gemeinschaft gerufen.
Der rechtlosen Ehebrecherin, auf die die Steinigung wartete, hat er zu einem neuen Anfang verholfen.

Gott ist auf der Seite der Schwachen. Dieser Satz hat aber noch eine weiter gehende Bedeutung: Gott streichelt und tröstet nicht nur die Schwachen, sondern er läßt uns erfahren, dass die Schwäche auch eine Stärke sein kann!!

Jesus hat seine Schwäche am Kreuz getragen – und zwar konsequent.
Er hat der Versuchung widerstanden, seinen Vater und die himmlischen Heerscharen zu Hilfe zu rufen. Er hat die Schwäche, die Machtlosigkeit, ausgehalten.
Er hat zu den Vorwürfen seiner Ankläger geschwiegen, er hat sich nicht selbst rechtfertigt.
Dazu gehört eine ganz andere Art von Stärke.

Durch die Stärke seiner Schwäche konnte er auch unsere Schuld tragen.
Dieser Weg, den Jesus gegangen ist, ist für uns ein Weg der Befreiung:

Er befreit uns von unserer Sünde, unserer Schuld, er hat unter ihr gelitten, hat sie getragen und nicht abgeschüttelt – bis zum Tod.
Und wir dürfen uns auch von ihm befreien lassen, von dem Zwang, stark sein zu müssen und unserer Angst, Schwäche zu zeigen.

Genau so brauchen wir auch vor Gott keine fromme Stärke zeigen, sondern dürfen auch unsere Schwachheit im Glauben eingestehen.

Was Jesus Christus für uns getan hat, können wir nicht nachmachen.

Aber wir können an ihm lernen:
Schwäche und Leiden müssen kein Mangel eines Lebens sein, sondern können Stärken der besonderen Art sein.
Amen

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