Predigt: Die Kraft der Symbole, 5. November 2006

Liebe Gemeinde

wir sind umgeben von Symbolen.
Vorne an der Ringstraße zeigt ein auf dem Kopf stehendes Dreieck an, dass wir warten müssen, bis kein anderes Auto kommt. Die drei Streifen auf dem Turnschuh erinnern mich, dass der Hersteller Adidas heißt. Der Totenkopf auf den Spritzmittel warnt den Bauern vor der Giftigkeit dieser Substanz. In der Wirtschaft und im Gemeindehaus signalisieren mir ein H und D wo Männer und Frauen hindürfen, wenn sie mal müssen. – Symbole.

Sind Symbole also Informations-Bildchen? Kleine “Bläpperle”, die sagen, was hier los ist? Ich glaube nicht. Da steckt noch viel viel mehr drin!

Ein Beispiel. Wenn nach der Pfarrkonferenz mein Kollege in ein neues Auto der Marke Ferrari steigt, dann wirft dieses fahrbare Status-Symbol mit dem Pferdchen auf der Motorhaube ganz naheliegende Fragen auf, wie er als Pfarrer sich so was leisten kann. Ich wundere mich; und in seinem Dorf wird man sich das Maul über den Pfarrer zerreißen, und er wird zunächst mal keinen leichten Stand haben. Ist das Symbol dann wirklich nur ein Bläpperle?

Ein anderes Beispiel: Wer über die Hauptstraße von Uffenheim her ins Dorf fährt, passiert das Vorfahrtsstraßenschild; und er weiß: Ich habe Vorfahrt und die anderen müssen warten. Da kann ich der Landrat sein oder ein 12-jähriger mit zerrissener Hose auf seinem Fahrrad: Ich in der, der Vorfahrt hat. Das Schild macht mich zu jemandem, der hier ein besonderes Recht hat. Ich habe es nicht verdient, aber das Symbol wirkt auch mich, alleine indem ich daran vorbei fahre. – Symbole!

Kirche und ihre Symbole

Bei Symbolen sind wir in einem Thema, das bei uns in der Kirche von Anfang an mit dabei war. Denn schließlich erkennt man uns von jeher an einem Symbol: Dem Kreuz. Das ist für uns so selbstverständlich, dass wir es oft kaum mehr bewusst wahrnehmen. Das Kreuz, der Ort, an dem Jesus für uns gestorben ist, ist unser zentrales Symbol.
Unser Markenzeichen … ein Bläpperle … oder doch mehr?

Unsere Landeskirche hat sich vor einigen Jahren ein neues Logo, ein neues Markenzeichen ausgedacht. Man wollte ergänzend zum Kreuz ein Markenzeichen, das grafisch ansprechend, unverwechselbar und universell einsetzbar ist. Auf der Umschlagseite Ihres Gesangbuches können Sie es sehen. Diese 3 Kästchen, die in ihrem Zwischenraum sozusagen Platz für ein Kreuz lassen. Auf vielen Briefköpfen können sie es in gestreckter Form wiedererkennen. In Hessen und Hannover hat man sich etwas anderes ausgedacht. Dort gibt es das sogenannte Facettenkreuz als Logo. Da erkennt man nur noch mit viel gutem Willen das Kreuz, an dem Jesus gestorben ist.
So haben wir jetzt ein Logo und das alte Symbol. Die Sache wird damit nicht übersichtlicher.

Das Kreuz – unser stärkstes Symbol

Ob es für uns nur ein Bläpperle oder doch mehr ist, kann man recht leicht erkennen, wenn man damit herumspielt, oder gar Schindluder treibt. Ein Gesangbuchlogo in rosa oder auf dem Kopf gestellt stört keinen Menschen. Aber stellen Sie sich vor, wir stellen unser Kreuz in der Kirche auf den Kopf oder wickeln es zum Spaß in Alufolie ein. Graust es Ihnen auch bei dem Gedanken?
Beim Symbol der Kreuzes wird es deutlich: Dieses Symbol ist mehr als nur zwei Balken! Wo das Kreuz ist, ist Jesus auch irgendwie präsent, steht das, worum es uns im Glauben geht, automatisch mit im Raum. Ein Symbol ist nicht nur Bläpperle, sondern bei einem echten Symbol kann man das, wofür es steht, nicht vom Symbol trennen. Mit dem Kreuz bekommt der Altarraum eine besondere Qualität, etwas Heiliges wird spürbar, auch wenn man es nur schwer beschreiben kann.

In einem Dorf bei Hildesheim hat der recht berühmte Künstler Georg Baselitz der Kirchengemeinde ein Gemälde geschenkt. Ein gemaltes Kruzifix für den Altarraum. – Millionen wert! – Aber bei diesem Kunstwerk steht das Kreuz auf dem Kopf. Der Künstler stellt nämlich grundsätzlich alles auf dem Kopf, das ist sein Markenzeichen. Für ihn war das kein Problem. – Aber für die Kirchengemeinde. Da spürten viele, dass das Kreuz ihnen als Symbol zu wertvoll war als dass man es für künstlerische Experimente hernehmen kann. Es gab eine lange Kontroverse in der Gemeinde, die 300 Einwohner hatte. Letztlich sind 100 Gemeindeglieder aus der örtlichen Gemeinde ausgetreten und haben sich in eine benachbarte eingeschrieben.

 

Ein Riesenstreit mit vielen persönlichen Verletzungen. Weil einige Personen übersehen haben, war es heißt, wenn etwas ein Symbol ist. Manchmal sagen wir “das ist ja nur ein Symbol für dies oder jenes”. Nur ein Symbol? Machen Sie daheim als Verheiratete doch mal den Test: Nehmen Sie ihren Ehering, der ist auch nur ein Symbol, vor den Augen des Partners aus dem Fenster. Dann können Sie wahrscheinlich erleben, dass der Ring nicht nur Symbol war, sondern eine sehr reale Angelegenheit. Der Ring ist ihr verheiratet sein, sie haben das am Finger. Und wenn Sie den Ring wegschmeißen, dann fliegt da noch viel viel mehr mit aus dem Fenster.

Ein Symbol ist mehr, als nur ein Verweis auf etwas anders. Das hat die Alte Kirche bis in die heutige Orthodoxie gelebt, wo man weiß, dass Ikonen als Bilder immer mehr sind, als nur Kunstwerke, sonder sie die Gegenwart Gottes wiederspiegeln. Und Ähnliches wird in der Neuzeit auch in der Philosophie diskutiert. Da erlaube ich mir, den Philosophen Hans-Georg Gadamer zu zitieren: “Das (im Symbol) Repräsentierte ist selber da, und so, wie es überhaupt nur da sein kann.”

Das heißt: Mit dem Kreuz in der Kirche ist Jesus unter uns.
Das Kreuz im Krankenzimmer rückt Jesu Liebe direkt ins Blickfeld des Kranken und sagt ihm: Jesus ist dir nahe und leidet mit dir.
Das Kreuz im Herrgottswinkel katholischer Haushalte bringt die Wirklichkeit Gottes in die Wohnung daheim, macht die eigentlich unsichtbare Gegenwart Gottes mit den Augen wahrnehmbar.

Der Segen

Ähnlich geht es uns mit dem Segen. Eines unserer starken Symbole. Eigentlich ist es ein frommer Wunsch, bei dem der Pfarrer die Hände symbolisch zur Handauflegung erhebt. Eine symbolische Geste – mehr nicht? DOCH!
Eine symbolische Geste wäre keine “symbolische”, wenn da nicht noch viel mehr dranhinge. Vielen Menschen ist der Segen sehr wichtig. Für sie ist das ein Moment in dem sie für sich etwas spüren, was sie schlecht in Worte fassen können, aber was sie in den Tag und die kommende Woche hineinträgt. Vielleicht scheint da wirklich das unsichtbare Licht Gottes auf diese Menschen. Ohne dass der Pfarrer etwas dafür oder dagegen kann. Es geschieht einfach.
Vielleicht ist das so etwas wie mit dem Vorfahrtsschild am Anfang der Predigt, bei dem man nichts dazu getan hat, einfach die Tatsache, dass hier “Segen” geschieht, kann da eine Veränderung bewirken.

Symbole als Träger der Gegenwart Gottes

Liebe Gemeinde,
im Symbol ist das, wofür das Symbol steht, anwesend, vergegenwärtigt. Ein Gedanke der spannend ist, wenn man ihn konsequent weiter denkt. Wenn man sich nicht von der Frage “wie das denn gehen kann” abhalten lässt, sondern einfach das Potenzial, das in diesem Gedanken steckt auslotet.

Was kann das heißen?
Ich denke an das Abendmahl, Brot und Wein, die uns an Leiden und Sterben Jesu erinnern. Und ich stelle mir vor, dass Jesus durch dieses Feiern im Altarraum mitten unter uns ist. Er als der eigentliche Gastgeber, der uns hier so um sich schart, wie seine Jünger damals am letzten gemeinsamen Abend. Gegenwart Jesu im Symbol.

Ich denke an mache Symbole unserer katholischen Glaubensgeschwister. Da haben wir manches zurückgelassen, was uns auch gut tun würde. Luther selbst hat den Evangelischen die Praxis des sich Bekreuzigens empfohlen. Eine Handbewegung, die mir das Kreuz Jesu auf den Leib zeichnet, und damit ihn mir so nahe rückt, wie sonst kaum etwas. Im sich Bekreuzigen rücke ich Gott ganz nahe zu mir, stelle mich in sein Licht, unter seinen Schutz und Segen.

Oder das Grablicht, das gerade in der letzten Woche zu Allerseelen wieder Konjunktur hatte. Das Grablicht, ein Symbol, das das Licht der Auferstehung schon jetzt auf dem Grab andeutet. Hier geht es nicht um Schnickschnack, Halloween oder Kunstgewerbe am Grab, sondern um ein Zeichen der Hoffnung auf Auferstehung und der Verbundenheit mit den Verstorbenen. Weil mit dem Tod eben nicht alles aus ist, lasse ich auf dem Grab auch nicht das Licht ausgehen. Ein schönes Symbol finde ich.

Symbole sind zerbrechlich

Aber ich weiß auch, dass sich nicht jeder davon begeistern lassen wird. Denn Symbole sind ein Angebot. Zum Hinsehen und zum Nutzen. Sie drängen sich einem nicht auf. Sie sind da, still, und oft unspektakulär.

Und darum werden sie in unserer lauten und schnellen Zeit auch oft übersehen und nicht ernst genommen. So bleiben sie Schätze, die nicht gehoben werden. Oder – ich denke an den Kruzifixstreit in Bayern vor 6 Jahren – man versucht sie als alten Ballast zu entsorgen, ohne zu wissen, was man da eigentlich tut.

Wenn wir sie aber wahrnehmen, uns auf ihre Form der Wirklichkeit einlassen, können sie uns durch das, was sie mitbringen, beschenken lassen. Vielleicht bietet sich Ihnen ja in den kommenden Wochen einmal die Möglichkeit, ein Symbol neu zu entdecken.
Wie ist das, wenn nach einem Streit, bei dem die Fetzen flogen und man mit unfairen Mitteln den Partner zu Schnecke gemacht hat … wenn man dann zum Abendessen gemeinsam unterm Kreuz im Esszimmer Platz nehmen will. – Spürt man da vielleicht, dass außer “Appetit” noch ein paar andere Worte nötig wären?
Oder möglicherweise trauen Sie sich vor der nächsten Glatteisfahrt, ein Kreuz zu schlagen. Nicht aus Todesangst, sondern weil sie sich selber sagen wollen. Ich fahre, und vertraue, dass Gott dabei ist.

Ich wünsche Ihnen ein bereicherndes Entdecken.

Amen

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