Predigt: mehr als nur schlechte Aussichten (Hebräer 11,1, Bild von René Magritte) 31. Dezember 2008

silvester_2008Liebe Gemeinde,

wer an der Nordsee Urlaub macht, der wird über kurz oder lang einmal das erleben, was die Einheimischen „Schietwetter” nennen. Das nasskalte Wetter an der Küste: Der raue Wind wirft das Meer zu ordentlichen Wellen auf, ein eklig kalter Nieselregen wird einem ins Gesicht gedrückt, durchnässt Jacke und Hose.
Der Himmel zieht sich düster zu, blau bis schwarz. An der Unterseite dieser Wolkendecke fegen einige helle Wolkenfetzen über das Meer.
Ein echtes Sauwetter – manche sagen, es sei gesund – „Reizklima”. Aber der einzige, der gereizt ist, bin ich, weil ich mir meine Urlaubstage anders vorstellt habe. Und jetzt sagen die im Wetterbericht, dass die Großwetterlage bis auf weiteres unverändert bleibt.- Toll. Schietwetter bis zum Ende des Urlaubs.

Eine Großwetterlage, vor der einem graust, kennen wir nicht bloß aus dem Wetterbericht. Auch die allgemeine Großwetterlage in unseren Landen ist nicht gerade besonders berauschend.
– Düsteres Konjunkturklima.
– Krisenjahr
– Eintrübung der Aussichten in der Wirtschaft Und wenn die Bundekanzlerin bewusst in ihrer Ansprache für Optimismus wirbt, kommt es manchem vor, wie das ängstliche Pfeifen im dunklen Keller

Dazu kommen dann bei nicht wenigen persönliche Krisen, tragische Ereignisse oder allgemeiner Frust. Schietwetter – nicht nur als meteorologisches Phänomen.

 

Magrittes große Familie

Liebe Gemeinde,
sehen sie sich bitte einmal dieses Bild an. Es ist von René Magritte, er hat es 1963 gemalt. Ein Bild, das eigentlich genau so ein Schietwetter darstellt. Mit düsteren Wolken bis zum Horizont, rauem Meer, stürmisch und kalt.

Ich habe das Bild meiner Frau und meinen Töchtern gezeigt. Und was haben die erkannt? „Ich sehe eine Taube” sagt die eine; „da ist ein schöner blau-weißer Himmel”, bemerkt die andere! „Aber da ist doch dieses kalte, stürmische Meer” bemerke ich. „Ach so … nö Papa, aber die Taube, die ist echt schön!”

Verrückte Welt! Dieses Gemälde gehört nicht umsonst zur Kunstrichtung des Surrealismus, der eben unsere normalen Seh-Gewohnheiten durchbricht und in Frage stellen will. Egal, wen ich frage: Keiner interessiert sich mehr für die düstere Szenerie. Der helle, fröhliche mit Schäfchenwolken verzierte Himmel – mit der Silhouette einer Taube – auf den schaut jeder.
Ist es nun eine Taube oder ein Himmel, der da angeflogen kommt? So genau kann man das nicht sagen, weil es ja so unwirklich ist. Ist auch nicht wichtig: Egal, was es ist, auf jeden Fall verändert es den Inhalt des Bildes ganz gewaltig.

Was hier passiert, möchte ich so beschreiben: Aus der Realität dieser düsteren Großwetterlage wurde mit dem Förmchen einer Taube ein Loch herausgestanzt. Und nun sehe ich dahinter eine andere Wirklichkeit, diesen wunderbaren Sommerhimmel, der mir bisher verborgen war. Durch diese Lücke hindurch erblicke ich eine andere Realität, die genauso da ist, aber meist hinter dem, was vor Augen ist, verborgen scheint.

 

Hebräer 11,1 Unsichtbares erkennen

Es ist aber der Glaube eine feste Zuversicht auf das, was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht. So kann ich es im Hebräerbrief nachlesen.

Zuversichtlich sein auf das, was man hofft.
Nicht zweifeln an dem, was man nicht sieht. – Das macht Glauben aus; und das macht es uns aber manchmal auch richtig schwer.

Denn unser ganzes Sensorium; Auge, Nase, Ohr ist auf diese vordere Schicht von Wirklichkeit gerichtet. Und das ist auch wichtig für unser Leben. Aber die Schwäche ist, dass wir eigentlich keine Sinne haben für die Wirklichkeit, die hinter dem ist, was sich vor unseren Augen abspielt.

– Jesus sagt: „Gottes Reich ist nahe herbeigekommen”, aber zugleich beherrschen die Römer das Land.

– Paulus schreibt: „Wir sind alle ein Leib in Christus”, und in der Gemeinde von Korinth gehen sich die frommen Parteiungen gegenseitig an die Gurgel.

– Die Gemeinde singt bei uns in Gollhofen bei Beerdigungen „Auferstehen, ja auferstehen wist du”, und zugleich geht es mit dem Sarg abwärts.

Und wie oft würde ich mir wünschen, dass wir da so ein Loch in unserer Wirklichkeit hätten; so wie diese Taube im Bild. Wo wir durchschauen könnten und einen Blick bekämen für diese andere Wirklichkeit Gottes, die uns oft verborgen bleibt.

Unser Glaube kann da manchmal ein Bohrloch sein, um das Unsichtbare zumindest zu erahnen. Und was gäbe es da alles zu sehen…

 

– „Gottes Reich ist nahe herbeigekommen”, sagt Jesus, und es wird spürbar, wie immer mehr Menschen vom Geist Gottes ergriffen werden, und bereit sind, ihr Leben ihm anzubefehlen.

– Wir sind alle ein Leib, schreibt Paulus, und ich sehe, wie ehemalige Sklavenhalter in Ephesus ihre Leibeigenen freilassen und mit ihnen gemeinsam in einer Gemeinschaft leben und arbeiten.

– „Auferstehen, ja auferstehen wirst du”, singt die Gemeinde am Grab, doch der Verstorbene ist gerade dabei, seine ersten Schritte zu tun in einer neuen Welt, die so hell ist, so anders klingt als alles. was er bisher kannte. Eine Welt in der er vom ersten Moment an wusste: Hier bin ich daheim.

Es ist aber der Glaube eine feste Zuversicht auf das, was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht.

 

Schietwetter 2009

Liebe Gemeinde,

am Jahreswechsel ist Zeit zum Zurückblicken und zum Nach-Vorne-Schauen. Die politische und wirtschaftliche Großwetterlage, wie sie uns in den Nachrichten präsentiert wird, ist recht klar. „Schietwetter mit wenig Aussichten auf Besserung”.

Wie gut dass ich kein Bundeskanzler bin. Denn dann könnte ich jetzt versuchen. Zuversicht zu verbreiten, Mut zu machen zum Investieren und Ärmel-hochkrempeln. Und ich könnte versprechen: Wenn wir alle zusammenhalten, dann geht es aufwärts.  Das wäre meines Erachtens alles richtig und wichtig.
Aber ich bin dankbar, dass mein Beruf – neun das ist falsch – es ist mein Glaube, der es mir erm öglicht, noch etwas anderes zu sagen.

Nämlich, dass Jesus uns versprochen hat, bei uns zu sein, uns zu begleiten und zu stützen, in guten und in düsteren Zeiten. Dass er uns nahe ist, dass wir ihm in unseren Gebeten sagen dürfen, was wir erhoffen und was uns bedrückt.

Liebe Gemeinde, für das Jahr 2009, in das wir (heute nacht) gehen, wünsche ich ihnen im Blick auf das, was ich gesagt habe, zwei Dinge.

Zum einen, dass der Wetterbericht mal wieder nicht stimmt, und es sonniger wird, als vorhergesagt.

Zum zweiten, dass hie und da das passiert, was auf dem Bild zu sehen ist: Dass sie etwas spüren von Gottes Wirken in ihrem Leben, dass die Gewissheit wächst, dass unserem Glauben eine ganz besondere Wirklichkeit zugrunde liegt. Und das völlig unabhängig vom Wetter.

Amen

 

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