Predigt: Hoffen und Warten ist manchmal die beste Option (Klgl 3, 22-32) 9. Oktober 2011

Jejeremiaremia ruft inmitten des Desasters: “Gott sei Dank ist es nicht schlimmer gekommen.” Gerade jetzt braucht man Geduld und Hoffnung.

 

22 Die Güte des HERRN ist’s, dass wir nicht gar aus sind, seine Barmherzigkeit hat noch kein Ende, 23 sondern sie ist alle Morgen neu, und deine Treue ist groß. 24 Der HERR ist mein Teil, spricht meine Seele; darum will ich auf ihn hoffen. 25 Denn der HERR ist freundlich dem, der auf ihn harrt, und dem Menschen, der nach ihm fragt. 26 Es ist ein köstlich Ding, geduldig sein und auf die Hilfe des HERRN hoffen. (…)
31 Denn der HERR verstößt nicht ewig; 32 sondern er betrübt wohl und erbarmt sich wieder nach seiner großen Güte. (Klagelieder Jeremias 3,22-32)

Liebe Gemeinde,
„die Güte des HERRN ist’s, dass wir nicht gar aus sind.” So beginnt Jeremia seine Gedanken. Mit anderen Worten: „Gott sei Dank, dass wir überhaupt noch leben!” Oder nochmal umformuliert: „Leute, das hätte auch ganz anders ausgehen können; da könnt ihr eurem Gott danke sagen, dass ihr überhaupt noch mal davon gekommen seid”.

Trauerarbeit in Jerusalem

Was ist da passiert?
Wer ein bisschen nachforscht, erfährt, dass eine echte Katastrophe die Zuhörer des Jeremia heimgesucht hat: Die Stadt Jerusalem wurde von den Soldaten der Babylonierkönigs Nebukadnezar erobert, in großen Teilen zerstört, der Tempel wurde vernichtet, viele Menschen wurden getötet; Tausende wurden als Kriegsgefangene verschleppt.
Jeremia versucht den Blickwinkel der Menschen zu verändern: „Leute – auch wenn ihr jetzt nur noch Ruinen und Gräber seht, ihr geschockt und traurig seid – es hätte alles noch schlimmer kommen können. Ihr lebt noch!”
Es ist uns nicht überliefert, wie die Zuhörer des Jeremia auf seine Feststellung reagiert haben.  Die Lebenserfahrung ist die, dass Menschen, denen Schlimmes zugestoßen ist, solche Ermutigungen wie die des Jeremia manchmal gar nicht gebrauchen können. Einem Unfallopfer, das mit Querschnittlähmung in der Klinik liegt, kann ich natürlich sagen. „Sei froh, dass es nicht schlimmer gekommen ist, du hättest tot sein können”. Und dabei hätte ich in der Sache natürlich recht.  Aber mein Zuhörer ist  in diesem Moment mitten in seiner Trauer, er sieht und spürt sein Elend – die Folgen des Unfalls, da kommen ihm meine aufmunternden Worte vielleicht sogar zynisch vor. Denn anscheinend nehme ich seine furchtbare Situation gar nicht ernst.
Ja,  meist müssen wir unseren Trauenden einfach die Zeit geben, in ihrer neuen, schlimmen Situation anzukommen, bevor wir daran gehen, darüber zu reden, wie es weitergehen soll.

Hoffnung als ein wertvoller innerer Betriebszustand

Ich lese einmal weiter in der Rede des Jeremia: Der HERR ist mein Teil, spricht meine Seele; darum will ich auf ihn hoffen. Denn der HERR ist freundlich dem, der auf ihn harrt, und dem Menschen, der nach ihm fragt. Es ist ein köstlich Ding, geduldig sein und auf die Hilfe des HERRN hoffen.

Nach der Diagnose kommt Jeremia mit einer Art Werbebotschaft. Eine Werbung für die Hoffnung. – Mehr ist es nicht. Hoffnung, als etwas, was wertvoll ist. Es ist „köstlich”, also attraktiv, Hoffnung zu haben und darauf zu warten, dass sich etwas verändert, dass Gott etwas verändert.
Aber mit dem Warten haben wirs nicht so.
Warten ist aus der Mode – Warten ist eine unerwünschte Verzögerung, eine Panne.
Was ich heute im Internet bestelle, kommt im Idealfall schon morgen mit der Post.
Wenn ich an der Supermarktkasse länger als 5 Minuten waren muss, werde ich schon fuchtig.
Dinge werden auf Kredit gekauft, weil man nicht warten möchte, bis man das Geld zusammengespart hat, um sich seinen Wunsch zu erfüllen. Das Warten haben wir in unserer Welt zunehmend abgeschafft.
… und da soll „auf Gott es Hilfe warten” eine schöne Sache sein?

Liebe Gemeinde, vielleicht ist das ja auch eine Frage der Alternativen, die man hat – und der Situation, in der man sich befindet!  Wenn ich Gang eines Amts sitze und eine Stunde warten muss – dann ist warten und hoffen einfach ärgerlich.
Aber wie sieht das bei dem jungen Unfallopfer mit seiner Querschnittslähmung aus? Vorhin haben wir festgestellt, dass er froh sein kann, überhaupt noch zu leben. Aber wenn das alles gewesen sein soll? Mit dieser Behinderung, ein Leben lang? Ohne Perspektive – ohne Hoffnung?
Aber da kommt der Neurologe und sagt: „Da gibts bei aller Vorsicht noch eine Chance … dass da durchtrennte Nerven noch mal zusammenwachsen. Aber das dauert … Monate … kann sein, dass Sie zwei Jahre brauchen, bis Sie wieder selbstständig essen können .. aber die Aussicht, die Hoffnung besteht.”
Und auf einmal fangen die Uhren wieder zu ticken an, jeder Tag bringt diesen Mann wieder ein bisschen näher an das heran, was er sich ersehnt. Jeder neue Tag ist ein Pluspunkt auf seinem inneren Konto der Gefühle. Warten wird zur gefüllten Zeit, Hoffen wird zu einer Tätigkeit mit Sinn und Ziel.
Wie eine Katze, die geduckt vorm Mauseloch sitzt und wartet … und weiß: Irgendwann wird sie kommen, die Maus, daran habe ich keinen Zweifel.
Warten und Hoffnung haben. Es ist so altmodisch, es passt so gar nicht zu unserem modernen Lebensgefühl – aber manchmal ist warten und hoffen der einzige Weg, eine positive Haltung zur Zukunft zu gewinnen.

Sich von Gott etwas zu erwarten

Meines Erachtens geht das nur, wenn für diese gute Zukunft jemand einsteht. Wenn da einer ist, der diese Zukunft auch in der Hand hat, der da etwas verändern kann, der Macht hat.  Sonst wäre das ja reiner Selbstbetrug. – Pfeifen im Keller – Oder sonst eine recht dubiose Selbstberuhigungsstrategie.
Habe ich einen, dem ich zutraue, mein Leben zu verändern, diese Welt zu verändern?
Traue ich meinem Gott das zu – obwohl ich auch immer wieder einmal Enttäuschungen hinnehmen musste?
Die Worte Jeremias sind fast schon erschreckend ehrlich:  Denn der HERR verstößt nicht ewig; sondern er betrübt wohl und erbarmt sich wieder nach seiner großen Güte. Er hat einen Gott erlebt, der sein Volk nicht immer auf Händen getragen hat. Verstoßen, von Gott allein gelassen haben sie sich gefühlt, und dann doch wieder erlebt, dass dieser Gott sie nicht alleine lässt.
Das ist eine wechselhafte Beziehung. Eine Traumpartnerschaft aus dem Bilderbuch liest sich anders!  Aber Jeremia serviert uns keinen auf Hochglanz polierten Werbeprospekt, sondern seine ungeschminkte persönliche Erfahrung, seine eigenes erlebtes Auf-und-Ab seines Lebens an Gotte Seite.
Eine Beziehung, die sich gerade deshalb als tragfähig und belastbar erweist, weil man miteinander durch Höhen und Tiefen gegangen ist. Jesajas Sätze kommen nicht aus dem theologischen Lehrbuch, sondern aus dem Lebensbuch.

Die Methode Hoffnung

Liebe Gemeinde,
manchmal kommt mir unsere Welt, (zumindest die, von der ich im Fernsehen und in der Zeitung etwas mitbekomme)  so vor, als würde sie auch auf der Intensivstationen liegen. Krisen, Katastrophen, militärische Auseinandersetzung, auf- und zuklappende Euro-Rettungsschirme, Energiekrise …  der Zustand des Planeten ist bedenklich … soweit ich es mit meinem sehr sehr begrenzten Horizont überblicken kann. Und ich selber merke, dass mir auch die Antworten und Lösungswege abhanden kommen … alles ist so komplex und undurchschaubar geworden.
Man hat keine Antworten! Die Wahl in Berlin hat gezeigt, dass die Menschen nicht mal mehr von der Politik Antworten und Lösungskonzepte erwarten. So kann man dann auch die Piratenpartei wählen – die geben wenigstens zu, dass sie überhaupt keinen Durchblick haben.
In so einer Situation liegt es eigentlich nahe, unserer Welt momentan keine besonders rosige Zukunftsaussichten zu bescheinigen.
Und genau dagegen möchte ich mit Jeremia mir erlauben manchmal ganz naiv zu hoffen.
Erinnere mich an die Worte aus dem Vaterunser: „dein Reich komme”,
Und die Worte Jeremias: Die Güte des HERRN ist’s, dass wir nicht gar aus sind, seine Barmherzigkeit hat noch kein Ende, sondern sie ist alle Morgen neu, und deine Treue ist groß.

Ja, es ist ein Wunder, das das alles nicht längst schon  zusammengebrochen ist –
und darum wage ich auch, auf die Zukunft zu hoffen – zu hoffen, dass Gott bei uns bleibt.

Amen

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