Predigt: Die Weisheit jenseits der Weisheit (1. Kor. 2, 1-10) 15. Januar 2012, 83. Geburtstag von Martin Luther King

Monument für Martin Luther King im West Potomac Park in Washington. Diese Skulptur wurde im August 2011 aufgestellt. Sie versteht sich als Umsetzung des King-Zitats: “vom Berg der Verzweiflung einen Stein der Hoffnung abzutragen”

1. Korinther 2, 1-10

Predigt am 83. Geburtstag von Martin Luther King. Ein Blick auf eine Weisheit, die ohne Argumente auskommt, aber nicht ohne den Geist

Predigttext:
Auch ich, liebe Brüder, als ich zu euch kam, kam ich nicht mit hohen Worten und hoher Weisheit, euch das Geheimnis Gottes zu verkündigen. 2 Denn ich hielt es für richtig, unter euch nichts zu wissen als allein Jesus Christus, den Gekreuzigten. 3 Und ich war bei euch in Schwachheit und in Furcht und mit großem Zittern; 4 und mein Wort und meine Predigt geschahen nicht mit überredenden Worten menschlicher Weisheit, sondern in Erweisung des Geistes und der Kraft, 5 damit euer Glaube nicht stehe auf Menschenweisheit, sondern auf Gottes Kraft.

6 Wovon wir aber reden, das ist dennoch Weisheit bei den Vollkommenen; nicht eine Weisheit dieser Welt, auch nicht der Herrscher dieser Welt, die vergehen. 7 Sondern wir reden von der Weisheit Gottes, die im Geheimnis verborgen ist, die Gott vorherbestimmt hat vor aller Zeit zu unserer Herrlichkeit, 8 die keiner von den Herrschern dieser Welt erkannt hat; denn wenn sie die erkannt hätten, so hätten sie den Herrn der Herrlichkeit nicht gekreuzigt. 9 Sondern es ist gekommen, wie geschrieben steht (Jesaja 64,3): «Was kein Auge gesehen hat und kein Ohr gehört hat und in keines Menschen Herz gekommen ist, was Gott bereitet hat denen, die ihn lieben.» 10 Uns aber hat es Gott offenbart durch seinen Geist; denn der Geist erforscht alle Dinge, auch die Tiefen der Gottheit.

Die Kunst der Rhetorik

Liebe Gemeinde
die 10. Klasse, die ich in Neustadt unterrichte, hat zur Zeit ein bisschen die Krise. Nächste Woche veranstaltet die Schule einen Debattier -Wettbewerb. Dabei schickt jede Klasse zwei Schüler ins Rennen, die dann vor großem Publikum im Diskussions-Wettstreit sich mit den anderen Klassen-Diskussions-Meistern messen. Dabei gehts um Argumente, um Überzeugungskraft, um rhetorisches Geschick. Wer am besten  und plausibelsten die anderen überzeugt, der gewinnt. Nur: Keiner traut sich so richtig hin – weil es eine große Herausforderung ist und viel Arbeit: Argumente sammeln und gedanklich sortieren, eine Strategie bereitlegen.
Und doch ist es wichtig, dass sie das alle mal ausprobieren, erlernen, wie man überzeugt, wie man Argumente einsetzt und gegebenenfalls auch mal strategisch die Schwäche der eigenen Position rhetorisch überspielt. So bugsiert man die Andern dorthin, wo man sie haben möchte.

Die Grenzen der Argumente

Paulus scheint davon gar nicht viel zu halten:
ich war bei euch in Schwachheit und in Furcht und mit großem Zittern; und mein Wort und meine Predigt geschahen nicht mit überredenden Worten menschlicher Weisheit
War er so ein miserabler Redner oder hatte das bei Paulus System? Wir wissen nicht so genau, ob er in seinen Predigten rhetorisch immer schon am Limit war, und auch nicht besser konnte – oder ob es eine bewusste Entscheidung war, seine Hörer eben nicht nach allen Regeln der Redekunst einzuwickeln. Jedenfalls war der Verzicht auf die hohe Schule der antiken Redekunst für den Apostel Paulus Programm: Denn das, worum es im Glauben an Jesus Christus geht, das ist von einer anderen Qualität.
– Wenn es um Glaubensfragen geht, sollen wir uns nicht einfach nicht den klugen und geschickt drapierten  Argumenten des Pfarrers geschlagen geben. Das muss irgendwie anders im Herzen entschieden werden.
– Wenns um die Frage geht: Soll ich mit 14 konfirmieren, da hilft keine ewige Diskussion ums pro und contra – keine Aufrechnen von Arbeitsaufwand gegen den Wert der Geschenke. Da hilft auch nicht das Argument „machs der Oma zuliebe”.  Das muss anders, das muss in dir drinnen entschieden werden.
– Wenn ich am Grab eines jungen Menschen stehe, und frage „Warum?” da verletzt es nur, wenn jemand versucht, die Katastrophe kleinzureden: Davon spricht, dass man ja nie weis, welches viel schlimmere Schicksal ihm vielleicht erspart geblieben ist. Das schmerzhafte Gefecht mit Gott nach dem „warum” und „wozu” muss im Herzen ausgetragen werden, und das passiert auch auf einer ganz anderen Ebene.

Die geheime Weisheit Gottes

Es gibt eine Grenze, hinter denen selbst die schlagkräftigen Argumente einfach verwelken – nichts bewegen können. Da geht es um eine andere Form der Weisheit. Die, so sagt Paulus, ist ein Geheimnis Gottes. Nur der Geist, der von Gott kommt, der offenbart uns diese Weisheit.
Mit anderen Worten: Es gibt ein Wissen, eine Weisheit, ein Verstehen, das von ganz anderer Qualität ist. Und ob ich dazu den Zugang bekomme, ist ein Geschenk Gottes; der Geist Gottes weht ja wo er will.

Ganz praktisch: Der eine kann etwas damit anfangen, wenn wir davon reden, dass Jesu Auferstehung auch für uns bedeutet, dass der Tod besiegt ist. Der wenn wir erklären, dass bei der Feier des Abendmahls Jesus Christus in Brot und Wein mitten unter uns ist. –  Ein Anderer hält das für kindischen Unfug. Ob bei jemandem da das Herz aufgeht haben wir nicht in der Hand. Da kann man sich mitunter vergeblich den Mund fusselig reden. So schade das auch ist.

Der Horizont der anderen Weisheit

Aber schauen wir auch auf die andere, positive Seite dieser Weisheit, die nicht jedem einleuchtet. Nämlich die Tatsache, dass es da überhaupt eine andere Wirklichkeit gibt – eine die weiter reicht, als das, was logische Argumente und unsere üblichen Erkenntnismethoden in Griff bekommen können

Martin Luther King wurde heute vor 83 Jahren geboren. Sein Einsatz für die Rechte der Farbigen war für ihn etwas, was er vom Glauben her verstand. Mit welcher Logik konnte man in den 50er Jahren hoffen, dass man das System der Rassentrennung beseitigen konnte? – Es war eigentlich aussichtslos. Aber jetzt haben wir einen farbigen Präsidenten der USA.
Im Rückblick sagte Martin Luther King:
Es ist der Glaube, der uns anhielt zu gehen. Es ist der Glaube, der uns fähig gemacht hat, dem Tod ins Auge zu schauen. Es ist der Glaube, der uns einen Weg gezeigt hat, wo es keinen Weg zu geben schien. Es ist der Glaube, der uns unsere täglichen Kreuzigungen ansehen lässt in dem Wissen, dass Gottes Welt durch die Kreuzigung geändert wird, und dass es keine Auferstehung gibt ohne Kreuzigung. Mit diesem Glauben werden wir fähig sein, vom Berg der Verzweiflung einen Stein der Hoffnung abzutragen. (Aus der Rede auf der Waldbühne in Berlin, am 13. September 1964)

Merken wir es? Nicht die hohen Weisheiten, nicht die hohen Worte haben die Menschen in Bewegung gesetzt, sondern das Vertrauen in Gottes Worte.  Der Blick auf den gekreuzigten Jesus. Auf diesen Jesus, der uns eine Nächstenliebe vorgelebt hat, die auch bereit ist, Opfer zu bringen. Eine Liebe, die den Feind und die Nervensäge genauso annehmen möchte, wie den besten Kumpel.
Und schon wieder sind wir an so einem Punkt, wo menschliche Logik an ihre Grenze kommt: Eine Nächstenliebe nach dem Motto „eine Hand wäscht die andere”, die versteht jeder, das leuchtet ein, das funktioniert sogar.
Aber: Liebe deinen Feind? Segne den, der dich verflucht?  Halte auch die andere Backe hin, wenn dich einer schlägt? – Wer dafür werben will, der kommt mit seinen Argumenten schnell in die Defensive. Weil so eine Form der Nächstenliebe nicht logisch und auch alles andere als erfolgversprechend ist.
Und doch steht Jesu Aufforderung im Raum und ich ahne: Ich kanńs eigentlich nur machen, wie Paulus und diagnostizieren:
Das alles lässt sich nicht mit klugen Worten schlüssig beweisen.
Und doch rede ich von diesem gekreuzigten Jesus, denn ich habe erlebt, dass darin eine Weisheit steckt, die auf dem ersten Blick verborgen ist. Erst wenn du es wagst, und dich auf diese Worte verlässt, wirst du erleben, welche Kraft in ihnen steckt.
Liehe Gemeinde, ich wünsche uns, dass auch wir das immer wieder erleben.
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen

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