Predigt: Jeremias Strategiepapier (Jer 29,1-14) 28. Oktober 2012

Jeremia 29, 1-14

„Suchet der Stadt Bestes“ – Jeremia 29 ist mehr als nur ein Brief. Interpretieren wir es doch einmal als Strategiepaper fürs Überleben in dauerhaft belastenden Lebenssituationen

 

Predigttext Jeremia 29, 1-14
Dies sind die Worte des Briefes, den der Prophet Jeremia von Jerusalem sandte an den Rest der Ältesten, die weggeführt waren, an die Priester und Propheten und an das ganze Volk, das Nebukadnezar von Jerusalem nach Babel weggeführt hatte
4 So spricht der HERR Zebaoth, der Gott Israels, zu den Weggeführten, die ich von Jerusalem nach Babel habe wegführen lassen:
5 Baut Häuser und wohnt darin; pflanzt Gärten und esst ihre Früchte;
6 nehmt euch Frauen und zeugt Söhne und Töchter, nehmt für eure Söhne Frauen und gebt eure Töchter Männern, dass sie Söhne und Töchter gebären; mehrt euch dort, dass ihr nicht weniger werdet.

7 Suchet der Stadt Bestes, dahin ich euch habe wegführen lassen, und betet für sie zum HERRN; denn wenn’s ihr wohlgeht, so geht’s auch euch wohl.
10 Denn so spricht der HERR: Wenn für Babel siebzig Jahre voll sind, so will ich euch heimsuchen und will mein gnädiges Wort an euch erfüllen, dass ich euch wieder an diesen Ort bringe.
11 Denn ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe, spricht der HERR: Gedanken des Friedens und nicht des Leides, dass ich euch gebe das Ende, des ihr wartet.
12 Und ihr werdet mich anrufen und hingehen und mich bitten und ich will euch erhören.
13 Ihr werdet mich suchen und finden; denn wenn ihr mich von ganzem Herzen suchen werdet,
14 so will ich mich von euch finden lassen, spricht der HERR, und will eure Gefangenschaft wenden und euch sammeln aus allen Völkern und von allen Orten, wohin ich euch verstoßen habe, spricht der HERR, und will euch wieder an diesen Ort bringen, von wo ich euch habe wegführen lassen. (Jeremia 29,1.4-7.10-14)

 

Liebe Gemeinde,

ein Brief ist das, was wir da eben gehört haben. Der Prophet Jeremia hat ihn irgendwann nach dem Jahr 598 vor Christus geschrieben. Adressiert an die Menschen, die bei der Eroberung Jerusalems sozusagen als Kriegsgefangene bis nach Babylon verschleppt worden waren. Mehrere tausend Menschen waren das gewesen. Nicht einfache Soldaten – man hat die fähigen, die gebildeten und die mächtigen Menschen weggebracht. So wollte man die störrische Stadt Jerusalem in den Griff bekommen.
Nun wohnten diese Verschleppten tausende von Kilometern fern der Heimat. In eigens angelegten Siedlungen. Es ging ihnen nicht direkt schlecht. Sie wurden nicht misshandelt – aber waren halt woanders, in einer fremden Welt, mit fremder Sprache, anderer Kultur, einem anderen politischen und religiösen System. Als Kriegsverlierer. Überhaupt als die Verlierer – das Opfer vom Dienst. Sie sitzen in Babylon fest, und haben keine Ahnung wie es weitergehen wird. Ob sie in absehbarer Zeit, oder langfristig, oder nie wieder ihre Heimat sehen werden.

Und denen schreibt der Prophet Jeremia einen Brief. Mit einem Gruß von Gott. Im wahrsten Sinn des Wortes: Das, was er schreibt ist ja das, was Gott diesen Leuten zu sagen hat.
Das Außergewöhnliche dieses Briefes ist, dass er so konkret ist! Es kommt mir so vor, als wäre das ein Strategiepapier mit klaren Anweisungen, wie die Leser mit dieser ausgesprochen schwierigen Situation umgehen sollen.

Für mich als Pfarrer ist das jetzt in bisschen ungewohnt. Da wir ja häufiger allgemeine Formulierungen unserer Bibel auf der Kanzel ins konkrete Leben übertragen wollen. Und jetzt ist das ja alles schon ganz konkret! – Zumindest für Leute die sich in so einer hoffnungslos-kniffligen Situation der Gefangenschaft befinden.

 

Liebe Wilhelmsdorfer/ Brunner, solche Situationen gibt es öfter, als wir es gerne hätten. Natürlich lebt keiner von uns im Exil in Babylon. Aber wir haben oft genug verfahrene Situationen, in denen wir gefangen sind, aus denen wir nicht schnell mal so entfliehen können. Systeme, in denen wir stecken, unter denen wir leiden, aber gegen die wir momentan kein Mittel haben.
Ich überlege mir, ob diese von Börsen- und Marktinteressen dominierte Welt, in der Politiker manchmal nur noch Statisten sind, allenfalls gut, um bei Bedarf Rettungsschirme aufzuspannen, ob das nicht auch ein System ist, in dem ich ein Gefangener bin, ohne Chance zu entkommen.
Für jemand anderes ist es vielleicht die eigene Familie, wo sie merkt, dass alles eigentlich schon lange nicht mehr stimmt, aber sie kann da auch nicht raus. Weil sie spürt, dass sie auch Verantwortung hat, für die Kinder, die kranken Eltern, für das nicht abbezahlte Haus. Gefangen in einem System, unter dem man leidet.
Auch im Beruf gibt es solche Exils-Situationen. Du weißt, da musst du durch, das musst du aushalten, denn für deinen Beruf gibt es hier weit und breit keine echte Alternative. Sie merken: Diese Liste ist beliebig verlängerbar: Spannungen mit Schwiegereltern oder umgekehrt dem Partner der eigenen Kinder. Die Dramen, die eine Alkoholabhängigkeit hervorrufen kann, oder der Kampf mit einer chronischen oder unheilbaren Krankheit.
Gefangenschaften allenthalben, unter denen wir Leiden ohne oft viel ausrichten zu können.

Und ich möchte versuchen, die konkreten Weisungen unseres Predigttextes einmal als programmatische Regeln zu formulieren. Stück für Stück – und Sie und ich müssen sehen, ob sie uns vielleicht wirklich weiterhelfen können. Oder ob Sie selbst merken, dass die Situation, die Sie in Kopf haben, so geartet ist, dass diese Regel bestimmt nichts hilft, dann legen Sie diesen Gedanken einfach beiseite.

Satz 1: Richte dich für länger ein

Gott sagt durch Jeremia: „Wenn für Babel siebzig Jahre voll sind, so will ich euch heimsuchen und will mein gnädiges Wort an euch erfüllen, dass ich euch wieder an diesen Ort bringe.”
Das heißt für das Volk im Exil: Richtet euch darauf ein, dass sich eure Situation erst in 70 Jahren verändern wird. Es ist ernüchternd und enttäuschend, wenn man erkennen muss: Dein Problem ist so komplex, das lässt sich nicht einfach so lösen. Es braucht länger, oder vielleicht wird es dich dein Leben lang begleiten. Wenn es so ist, ist das ein schrecklicher Schlag in die seelische Magengrube und man spürt, wie erst einmal alle bisherige Hoffnung einem verloren geht. Das ist schlimm!
Aber es gibt Situationen, da ist es eine Hilfe, wenn man Abschied von der Illusion nimmt, dass das alles gleich wieder gut wird. Und wenn man sich darauf einrichtet, mit dieser „Gefangenschaft” leben zu müssen.

Satz 2: Gib dich nicht auf

„Baut Häuser und wohnt darin; pflanzt Gärten und esst ihre Früchte;  nehmt euch Frauen und zeugt Söhne” Obwohl die fehlende Aussicht auf Befreiung eigentlich die Zukunft in Frage stellt, sagt Gott: Vorwärts!
Gib dich nicht auf. Lass dich nicht hängen.  Auch wenn alles furchtbar ist: Du lebst, und Gott gibt dir eine Zukunft.
Obwohl es dir fraglich scheint, ob das alles überhaupt noch einen Sinn hat: Sagt Gott: Auch wenn du da vorne lange kein Licht siehst – dein Tunnel ist keine Sackgasse. Gib dich nicht auf – Gott hat noch etwas mit dir vor.

Satz 3: Suche das Beste für dein System

„Suchet der Stadt Bestes, dahin ich euch habe wegführen lassen, und betet für sie zum HERRN; denn wenn’s ihr wohlgeht, so geht’s auch euch wohl.”
Liebe Gemeinde, dieser Ratschlag kann einem fast zynisch vorkommen. Soll ich dieses Finanzsystem, diese Partnerschaft, dieses Büroklima unter dem ich leide auch noch unterstützen? Soll ich für die giftspritzende Kollegin im Büro auch noch beten?
Ich sage ihnen ja nur, was da steht.
Und der gesunde Menschenverstand lässt mich erahnen: Ich habe nichts davon, wenn ich das System, unter dem ich leide selber noch verschlimmere. Wenn ich das Klima verschlechtere, die Bedingungen des Miteinanders torpediere, werde ich nur selten dadurch etwas gewinnen.
Und von Ferne höre ich das Echo unseres Wochenspruches: Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem. (Röm 12, 21)

Satz 4: Suche Gott – weil er sich finden lassen will

Der letzte Ratschlag aus unserem Predigttext: „Und ihr werdet mich anrufen und hingehen und mich bitten und ich will euch erhören. Ihr werdet mich suchen und finden.”
Hilfe von Gott zu erhoffen – das kennen wir.
Wenn man aber lange vergeblich auf ein Wunder wartet – dann merkt man vielleicht irgendwann, dass man mehr und mehr dabei ist, Gott zu suchen. Weil man entdeckt hat, dass dieser Gott anders ist, als man es bisher in seinem Kopf zurechtgelegt hat. Dass die Güte Gottes etwas anderes ist, als einfache Wunscherfüllung.

Da steht: „wenn ihr mich von ganzem Herzen suchen werdet, so will ich mich von euch finden lassen”. Das ist doch eine schöne Verheißung. Dann doch ihn zu finden. Möglicherweise nicht als den Wunscherfüller-Gott. Aber ihn als den Gott zu finden und zu entdecken, der mir Kraft gibt für mein Leben. Und Mut, jeden Tag neu als Herausforderung anzugehen. Das ist dann schon eines der wirklich wertvollen Wunder unseres Gottes.

Liebe Gemeinde,

das waren sie schon – meine vier konkreten Sätze aus dem Strategie-Papier des Propheten Jeremia.
– Richte dich für länger ein
– Gib dich nicht auf
– Suche das Beste für dein System, und
– Suche Gott – weil er sich finden lassen will

Vielleicht hilft es ihnen ein wenig weiter.
Oder sie gehen heim und sagen sich: „Die Predigt hätte ich mir sparen können. Die ganzen Ideen brauche ich allesamt nicht”. Dann freut es mich! Denn dann ist es doch wunderbar, dass es Ihnen gut geht, und es keinen Bereich im Leben gibt, unter dem Sie zu sehr zu leiden müssen.

Amen

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